Dave Dee, Dozy, Beacky, Mick and Tich / Wer leiden will, muss fühlen.

Und keiner weiß mehr, wie es früher war: Oktapolaris, Grunerstraße © Kai von Kröcher, 2021

 

No need to run and hide, it’s a wonderful life. +++ Auf dem Weg von der Kita zurück fließen einem immer so druckreife Philosophien durch den Kopf, zu Hause angekommen sind sie vergessen. +++ Von der Festplatte gelöscht, sozusagen. +++ Wie finden Sie das Bild eigentlich heute? Das war ein sonniger Tag im März dieses Jahr, da war ich zu Fuß von zu Haus bis zum Alexanderplatz spaziert – und zurück. Die zerrissene Stadt – am eingebauten Schrittzähler gemessen erstaunlich wenig. +++ Und was haben Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick und Tich mit der Sache zu tun?

 

Überschrift inspired by: Don’t Get Weird On Me, Babe © Lloyd Cole, 1991

Bildunterschrift taken from: Flugzeug ohne Räder © Keimzeit, 1990

Lyrics: Wonderful Life © Black, 1986

Disziplin und Lebensfreude / Wiederherstellungsmodus.

Von wo wir sind, können wir die Berge seh’n: Leipzig, Oktapolaris (feat. Gentleman of the Year) © Kai von Kröcher, 2021

 

Von wo wir sind, können wir die Berge seh’n. +++ Lustig: Gestern dachte ich kurz, ich poste hier einfach mal eine Fake-Nachricht. Dass in den letzten zwei Jahren nämlich irgendein Unbekannter unter meinem Namen regelmäßig diesen ganzen Unsinn hier geschrieben und zu verantworten hat. Das fand ich zum Brüllen komisch. Irgendwo zwischen dem Home-Office und dem fabulous Netto-Markendiskount lag ich im Rinnstein und kringelte mich vor Amüsement. +++ Wie gesagt, eine Fake-News. +++ Was aber tatsächlich sehr lustig ist an der Sache: Als ich mich gestern an meinen Zentralrechner setzte, lag im Mailfach die Message, auf meiner Webseite gebe es Probleme, einige Plugins seien fehlerhaft. Was immer das sein mag – es funktionierte jedenfalls gar nichts mehr. Nüscht. Nicht mal anschauen ließ sich die Seite noch. +++ Und dabei wollte ich heute doch einfach nur einem befreundeten Künstler zum Geburtstag gratulieren – und zu dem, was er da aktuell gerade treibt. +++ Gentleman of the Year: Schade, dass man auf dem Bild (oben) nichts erkennt! +++ Aber wenigstens komme ich heute wieder rein, das ist ja nun auch schon mal was. Jetzt noch die Daumen drücken, dass das mit dem sogenannten Wiederherstellungsmodus auch wirklich funktioniert. +++ Internet, Alter! – da machste was mit, sage ich Ihnen!

 

Überschrift inspired by: Disziplin und Lebensfreude © Kai von Kröcher, 2021

Überschrift also inspired by: Wiederherstellungsmodus © Internet, 2021

Lyrics: Nahuel Huapi © Bilderbuch, 2021

Mitleid ist eine kühle Institution / Das Dasein ein Bienenstock.

Pfingstmontagabend – über dem Plattenbauviertel neigt die Sonne dem Untergang sich entgegen © Kai von Kröcher, 2021

 

Du stehst im Garten und weinst, aber du lächelst dabei.

 

Überschrift inspired by: Berlin, Schlesischer Bahnhof (Roman) © Julius Berstl, (?)

Lyrics: Mira © Die Höchste Eisenbahn, 2013

Er kommt spät, dieses Jahr, aber er kommt / A phrase we keep repeating.

Frühling in Zeiten der Pandemie: Urbanhafen mit Baum © Kai von Kröcher, 2021

 

Mars ain’t the kind of place to raise your kids, in fact it’s cold as hell. +++ Irgendwann hätte ich gerne diese 15 Minuten, in denen ich nicht berühmt sein werde.

 

Überschrift inspired by: Seasons in the Sun © Terry Jacks, 1974

Überschrift also inspired by: Nuestra Victoria © Marinero, 2021

Lyrics: Rocket Man © Elton John, 1972

Inspired by: I Can’t Read © Tin Machine, 1989

Dedicated to: Jordan von Kröcher (* 27. April 1928 in Magdeburg; † 17. Dezember 2005 in Vallstedt, Niedersachsen)

Still Fire in Bone / Die gelassene Überlegenheit der modernen Handyfotografie

Rostock-Lichtenhagen: Stil-Ikone der Nachwendezeit (Original-Foto: Martin Langer, 1992) © Kai von Kröcher, 2021 (Handyfotografie)

Bodo Bär auf der Baustelle: Skalitzer Straße © Kai von Kröcher, 2021 (Handyfotografie)

Körtestraße: Deko-Idee zur Nach-Weihnachtszeit © Kai von Kröcher, 2021 (Handyfotografie)

Heimweg vom Einkaufen mit Sohn: Urbanhafen © Kai von Kröcher, 2021 (Handyfotografie)

Urbankrankenhaus: Schlafzimmerblick auf den Parkplatz zur Blauen Stunde © Kai von Kröcher, 2021 (Handyfotografie)

 

Am 20. Jänner ging Lenz durchs Gebirge. +++ Vor vielen Jahren einmal fuhr ich, und anscheinend wird das wohl kurz vor einem Geburtstag gewesen sein – meinem neunundvierzigsten sehr wahrscheinlich. Alleine saß ich im Auto und fuhr über den teils noch verschneiten Riedbergpass – rechts und links der Straße zumindest –, den immerhin höchsten befahrbaren Gebirgspass in Deutschland. Im Radio lief – da hatte ich, glaube ich, Bayern zwei eingeschaltet, die Kulturwelle des Bayrischen Rundfunks, das verlieh der Landschaft etwas Gebildetes. Da die Sendung aus München kam, wunderte ich mich nicht, dass es um Meister Eder ging und um den Monaco, um Gustl Bayrhammer und Helmut Fischer nämlich. +++ Doch worauf will ich hinaus? +++ Mit den Killers verhielt sich das irgendwie immer seltsam: Hot Fuzz, dieses „blaue“ Album von 2004 – im Club damals spielte ich das in der Anfangszeit rauf und runter. Allerdings – ob der Sänger danach eine Stimmtransplantation hatte vornehmen lassen oder so, keine Ahnung. Von da an jedenfalls, wann immer diese Band etwas Neues herausbrachte, ich musste mich (sprichwörtlich) jedesmal übergeben. Angeekelt musste ich das Radio direkt ausschalten. +++ Mein Sohn übrigens ist nicht nur Fan von Baustellen und Baufahrzeugen – er liebt auch die Blaue Stunde. Von daher ein paar dieser Fotografien heute da oben. +++ Nina Kunzendorf zum Beispiel, da hatte ich mir neulich einen Podcast angehört: Sie hat ein beinah erotisches Faible für landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge, wie es klang – wie viele Stunden habe ich früher auf dem Traktor verbracht! +++ Wo waren wir stehengeblieben? +++ Auf Bayern II jedenfalls hatten sie über Helmut Fischer und Gustl Bayrhammer gesprochen. Und darüber, dass beide erst im Alter von über fünfzig ihre Berufung zum Schauspieler erfüllt fanden, obwohl mir das Quatsch zu sein scheint. Oder die Erinnerung spielt mir einen Streich. Jedenfalls fuhr ich da oben über den Riedbergpass gerade vor meinem neunundvierzigsten Geburtstag, und ich dachte: ‚Dann bleibt dir noch Zeit!!!‘ +++ Dieses ikonische Foto da oben mit dem Typen da in dem Deutschlandtrikot mit dem Hitlergruß und dem Pissfleck in der Hose – als ich da neulich an dem Plakat vorbeilief. Ich fragte mich jedenfalls, ob der eigentlich nie gegen die Veröffentlichung dieses Bildes geklagt hat. Recht auf das eigene Bild, und so weiter. Oder ob man mit so einem Foto direkt sämtliche Bürgerrechte aberkannt bekommt. Oder ob er durch dieses Bild eine Person des öffentlichen Lebens geworden ist, ein Perpetuum Mobile, sozusagen. Oder ob er vielleicht fürstlich entschädigt worden ist. Und ob ihm das alles denn wenigstens furchtbar peinlich ist. Oder einfach nur scheißegal. Und ist er nicht vielleicht längst schon tot? Oder ein treu sorgender Familien- und Großvater?

 

Überschrift inspired by: Fire In Bone © The Killers, 2020

Überschrift also inspired by: Die Überlegenheit der modernen Handyfotografie © Kai von Kröcher, 2021

Textauszug aus: Lenz (Erzählung) © Georg Büchner, 1835/1839

Bildunterschrift u.a. inspired by: Bodo Bär auf der Baustelle (Kinderbuch) © Hartmut Bieber, 2005

Riedbergpass, in den Allgäuer Alpen gelegen und 1405 m ü. NHN höchster befahrbarer Gebirgspass in Deutschland 

Adolf Gustav Rupprecht Maximilian „Gustl“ Bayrhammer (* 12. Februar 1922 in München; † 24. April 1993 in Krailing), bayerischer Volksschauspieler

Helmut Fischer (* 15. November 1926 in München; † 14. Juni 1997 in Riedering/Chiemgau), dt. Schauspieler und bayerischer Volksschauspieler

Nina Kunzendorf (* 10. November 1971 in Mannheim), dt. Schauspielerin

Rostock-Lichtenhagen, zwischen dem 22. und 26. August 1992 berühmt und berüchtigt geworden durch die schlimmsten rassistischen Ausschreitungen in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg

Verworrene Städte / You’ll have to scream louder.

Deep Fuck Records: Karl-Marx-Allee, Neukölln © Kai von Kröcher, 2018/2021

 

Oooh, nothing’s ever gonna really be the same right after this.

 

 

Überschrift inspired by: Verworrene Städte (Lyrik) © Sylvia von Harden, 1920

Überschrift also inspired by: You’ll Have to Scream Louder © Tindersticks, 2020 (Cover) 

Lyrics: Petrol Fumes © Billy Nomates, 2021

Porträt der Journalistin Sylvia von Harden / The Whole of the Moon.

Oktapolaris: Ecke Dimitroff © Kai von Kröcher, 2020

 

There’s nothing in this world I really miss. +++ Kennen Sie zufällig auch dieses Gefühl, wenn es Frühling wird? Er schon in der Luft liegt, sich aber nicht greifen lässt? +++ Das verlorengegangene Bild von gestern dagegen ist später dann doch noch aufgetaucht (oben) – da war ich zuerst wohl wieder einmal etwas verpeilt gewesen: Ich hatte anfangs – es war noch vor sieben in der Früh; in den Baumkronen draußen deutete sich ein klarer und sonniger Morgen an. +++ Die erste Stunde jedenfalls bin ich noch im Bett sitzengeblieben, hatte mir eine dampfende Tasse Bohnenkaffee daneben gestellt. Am Bild gearbeitet und es auf dem Schreibtisch abgespeichert. Später irgendwann dann stürzte Old Photoshop ab, und da verlor sich plötzlich die Spur: Alles für’n Arsch, wie Friedrich Merz es vielleicht ausdrücken würde. Vermeintlich für’n Arsch, weil, aber ist ja egal. +++ Das Bild von der Schönhauser Allee jedenfalls wollte mir anfangs, letzten Herbst also. Mehrere Stunden hatte ich da an der Kreuzung gestanden. +++ Mein erster Freund in Ost-Berlin damals, der Republikflüchtling Franz. Vor seiner Flucht nach Moabit oder Charlottenburg hatte der da seine Wohnung gehabt – und bald nach dem Mauerfall ist er dort wieder eingezogen. Eine komische Vorstellung, da denkt man, man kommt niemals wieder zurück. Und dann, nur Monate später. Da steht dann das Frühstücksgeschirr noch auf dem Tisch. +++ Bildlich gesagt. +++ Franz jedenfalls, und daran muss ich an dieser Ecke jedesmal denken – ohne Quatsch, jedes Mal! Er hatte hochgezeigt auf das Dachgeschoss von dem Haus auf der Spitze. Und trocken gesagt: „Da oben hatte Otto Dix sein Atelier.“ Das kam mir auf eine Art so verwunschen vor. +++ Anfangs jedenfalls fand ich das Bild völlig misslungen. Mehrere Stunden an der Kreuzung für’n Arsch – neulich fiel es mir dann eher durch Zufall nochmals in die Hände: Heute nun also das ganze wunderbare Stück…

 

Überschrift inspired by: Porträt der Journalistin Sylvia von Harden © Otto Dix, 1926 (Musée National d’Art Moderne, Paris – auch: „Bildnis der Journalistin Sylvia von Harden“)

Überschrift also inspired by: The Whole of the Moon © The Waterboys, 1985

Lyrics: Petrol Fumes © Billy Nomates, 2021

Wilhelm Heinrich Otto Dix (* 2. Dezember 1891 in Untermhaus, Gera; † 25. Juli 1969 in Singen am Hohentwiel), dt. Maler und Grafiker

Sylvia von Harden (* 28. März 1894 in Hamburg; † 4. Juni 1963 in Croxley Green/Hertfordshire), dt. Lyrikerin und Journalistin

Berlin – Ecke Schönhauser (DEFA-Spielfilm) © Wolfgang Kohlhaase (Drehbuch), Gerhard Klein (Regie), DDR 1957

Ein unmöglicher Mensch / Ich möchte es einmal besser haben als mein Kind.

Ecke Dimitroff: Ich möchte es einmal besser haben © Kai von Kröcher, 2020

 

Brucie dreams life’s a highway, too many roads bypass my way – or they never begin. +++ Beim frühmorgendlichen Sonnenspaziergang heute zum Bäcker musste ich komischerweise an Martenstein meine Urgroßtante Bertha denken. Im Kopf hatte ich dabei ein Schwarzweißbildnis Rosa Luxemburgs, doch ganz bestimmt will ich Bertha nicht zur linken Revoluzzerin stilisieren, das wäre Quatsch. Ich kannte sie (naturgemäß) leider nicht, aber zumindest war sie, wie es in verschiedenen Quellen da heißt. Sie war Sozialreformerin – und Mitbegründerin der Vereinigung Konservativer Frauen (VKF), was auch immer das beides gewesen sein mag. Vor allem aber, und bis vor kurzem war mir das absolut nicht bekannt – jedenfalls: Ihr Leben lang war sie nie verheiratet, lebte stattdessen ganz offensichtlich in einer Beziehung mit der Schriftstellerin Adeline Gräfin zu Rantzau, was mir, so als Laien, für die damalige Zeit dann doch über das gewöhnliche Quäntchen ungehörig und revolutionär und gar nicht so übertrieben konservativ erscheint. +++ Auch Bertha veröffentlichte mehrere Bücher, aber besonders interessant dabei finde ich, dass die Rantzau und meine Urgroßtante einige Zeit in der Künstlerkolonie Worpswede verlebten, möglicherweise sogar – aber das ist jetzt reine Spekulation oder Wunschdenken. Möglicherweise jedenfalls zu der Zeit, als auch Paula Modersohn-Becker dort in Worpswede lebte und arbeitete (und verstarb). +++ Die Welt ist ein Dorf; was mich am Leben aber am allermeisten so fertig macht, ist, dass das alles immer so vergänglich sein muss – und dass sich schon bald keine Sau mehr an irgendwen oder -was erinnert. +++ Im übrigen muss es für mich keinen Frauentag geben – bei mir sind rund um die Uhr, 24 Tage die Woche, alle Menschen gleich – außer Doofe. +++ Wie sagt mein Sohn Otto immer so schön: „Man(n) kann über den Papa sagen, was man will – aber ein Sssrein (Schwein/Anm.d.Red.) ist er nicht.“ +++ P.S.: Das Bild heute (oben) wäre eigentlich wesentlich breiter gewesen, ein Cinemascope sozusagen. Ist mir bei der Bearbeitung vorhin allerdings abgekackt, das war irgendwie blöd – das Bild selbst dagegen war super…

 

Überschrift inspired by: Ein unmöglicher Mensch (Drama) © Adeline zu Rantzau/Verlag Martin Warneck, Berlin, 1906

Überschrift also inspired by: Ich möchte es einmal besser haben als mein Kind © Kai von Kröcher, 2021

Lyrics: Cars and Girls © Prefab Sprout, 1988

Rosa Luxemburg (* 5. März 1871 als Rozalia Luxenburg in Zamość, Kaiserreich Russland; † 15. Januar 1919 in Berlin), Vertreterin der europäischen Arbeiterbewegung

Bertha von Kröcher (* 24. Mai 1857 auf Schloss Isenschnibbe, Altmark; † 12. März 1922 in Berlin), dt. Sozialreformerin und Schriftstellerin

Adeline Gräfin zu Rantzau (* 26. Juni 1867 in Rastorf, Schleswig-Holstein; † 29. September 1927 in Kiel), dt. Schriftstellerin

Paula Modersohn-Becker (* 8. Februar 1876 in Dresden; † 20. November 1907 in Worpswede), dt. Malerin und bedeutende Vertreterin des Expressionismus

Internationaler Frauentag (8. März – International Women’s Day, IWD), entstanden auf Initiative sozialistischer Organisationen in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg

Otto (* 15. September 2018), dt. Sohn

Uhlandstraße, zurückbleiben / Du gehörst nicht nach Plus.

Fiktives Vinyl: Fernwärme Chantal – Netto Marken-Discount (für Wolf Klein) © Kai von Kröcher, 2021

 

And I couldn’t awake from the nightmare that sucked me in and pulled me under. +++ Erinnert sich da draußen an den Radiorekordern einer noch an den Plus Markendiscounter am Kottbusser Tor? Ich bin damals ja eher zu Minus gegangen, da gab es wenig fürs Geld. +++ Aber mal ohne Quatsch: Anja Maria erzählte mir einst eine Geschichte, die hat sich als Evergreen in meine Synapsen gebrannt. +++ Ein Faible für Plus seinerzeit hatte auch der von mir sehr geschätzte und hochdekorierte Künstler Wolf Klein – der setzte der Warenhandelsgesellschaft nicht nur nach deren Übernahme durch Netto lange noch wundersame Hommagen. Wolf Klein betrieb auch längere Zeit auf dem U-Bahnhof Möckernbrücke den Blumenladen – eine Galerie ausschließlich mit fotografierten Blumen. Darüber schrieb er dann lustige, böse Geschichten, die endeten stets mit dem Bahnhofsvorsteher: „Uhlandstraße – zurückbleiben, bitte!“ +++ Anja Maria hatte ich auf der U15 von Uhlandstraße nach Kreuzberg zurück kennengelernt, bepackt mit den Weihnachtseinkäufen von ’97: „Schlesisches Tor – zurückbleiben, bitte!“, da schließt sich ein Kreis. +++ Und Anja Maria erzählte halt diese Geschichte, sie erzählte immer sehr tolle Geschichten. Da war sie einkaufen bei Plus am Kottbusser Tor – der war damals da, wenn ich nicht irre, wo heute Dirk Rossmann seine Drogerie hat. Sie stand da relativ weit abgeschlagen in der Schlange zur Kasse, und vorne stockte der Ablauf, ein Tumult bahnte sich an. Ein Kunde beschimpfte, glaube ich, die Kassiererin wegen des Kopftuchs, das sie während der Arbeit trug. +++ Bahnhofsvorsteher? +++ Das zog sich jedenfalls alles sehr hin, da bei Plus. Langsam wurden die Leute unruhig, wollten bezahlen. Der außer sich wetternde Kunde ließ aber nicht locker, die Kassiererin saß wehrlos da und perplex. Lautlos begannen die Leute zu murren, während vorne politische Zustände in der Türkei angeprangert wurden: Mit ihrem Kopftuch gehöre sie hier nicht her, stauchte der Kunde sie zusammen. Und jetzt, nach zähen Stunden des Wartens – da regte sich ein recht runtergekommener dürrer Mann in der Schlange, in meiner Vorstellung schwirrten Fliegen um seinen Kopf. Der bäumte sich sozusagen auf doppelte Körpergröße auf. Für einen Moment lang lag eine gespenstische Stille über der Szenerie. Die Frau mit dem Kopftuch gehörte also nicht nach Deutschland, eine verfahrene Situation. Und jetzt kommt der verlauste Typ mit den Fliegen um den Kopf in Spiel – er hebt seine Stimme. Nachdem der ganze Laden eine gefühlte Ewigkeit lang in einer sprachlosen Blase gefangen war. Die Kassiererin gehört nicht nach Deutschland, wir erinnern uns. Und nun kommt der resolute, trockene Return von dem Typen weit hinten: „Und du gehörst nicht nach Plus!“ +++ Hätten Sie denn die Pointe besser erzählt? +++ Von Facebook vor zwei Stunden der Hinweis: „Die Seite Ihr seid solche Fucker verstößt durch vulgäre Ausdrücke gegen unsere Richtlinien.“ +++ Und Wolf Klein hat heute Geburtstag – herzlichen Glückwunsch! Sollten heute nicht auch Blumenläden und Friseure endlich wieder öffnen?!

 

Überschrift inspired by: Uhlandstraße, zurückbleiben © Wolf Klein, (?)

Überschrift also inspired by: Du gehörst nicht nach Plus!

Lyrics: So Real © Jeff Buckley, 1994

Plus Warenhandelsgesellschaft mbH (1972 – 2019), Tochter der Tengelmann Warenhandelsgesellschaft KG mit Sitz in Mühlheim an der Ruhr

Netto Marken-Discount | Urbanstraße 122 | 10967 Berlin-Kreuzberg

https://www.instagram.com/wolf.klein

Eins, null, fünf, drei, null, vier, sechs, vier, fünf, drei / Dann geh doch zu Netto.

Hey, du: Netto Marken-Discount, Urbanstraße 122 © Kai von Kröcher, 2021 (Repro)

 

I was waiting for the bus one day. +++ Tinder 1.0 (Version ’93): Was ist das für eine Frau, die sich fünf Stunden in der Gemüseabteilung aufhält? Und kommt in den Einkaufswagen bei Netto eigentlich nicht ein 1-Euro-Stück? +++ Vielleicht habe ich während des Lockdowns bislang auch einfach nur zu viele Krimis im Fernsehen geschaut…

 

Überschrift inspired by: Graf Zahl © Paul Kalkbrenner, 2021

Überschrift also inspired by: Netto Marken-Discount | Urbanstraße 122 | 10967 Berlin

Lyrics: Caroline © Arlo Parks, 2020

16 Uhr 50 ab Paddington („Murder She Said“, mit Margarete Rutherford als Miss Marple) © Agatha Christie (Drehbuch), UK 1961