Manic Street Preachers / Über glühende Kohlen gehen.

Berlin-Hasenheide/Neue Welt: Thinking of Hans Baluschek © Kai von Kröcher, 2007

 

Dependent on above, searching for the Dead Sea scrolls. +++ Heute wurde ich wach. Es war dunkel, der Sohn neben mir lachte im Schlaf kurz auf, was ich zunächst für ein Schluchzen hielt. Die Wanduhr im anderen Zimmer würde bald viermal schlagen – da lag ich nun also im Dunkel der Nacht und grübelte spontan über Christoph Daum nach. Ob er seine Spieler seinerzeit tatsächlich über glühende Kohlen hat laufen lassen, und ob ich das auch machen würde – über glühende Kohlen laufen. +++ Das Bild heute, ich hatte es gestern beim Erstellen einer Sicherungskopie entdeckt. Ich mag diese alten Bilder, fast keine Bearbeitung mit Photoshop. Analog aufgenommen, glaube ich, mit der Rollei 6×6 auf Mittelformat-Diafilm, anschließend gecrossed. Kam mir damals irgendwie schräg vor. Im Sinne von schief, nicht im Sinne von abgefahren: stürzende Linien, die Autos nicht perfekt in der Symmetrie. +++ Ich bin Ihnen noch eine Geschichte schuldig mit dem Kraftwerk Gottes und Aperol Spritz. +++ Man schmeckt auf dem Bild förmlich den Morgentau. Anfang März 2007 auf dem Parkplatz der Neuen Welt – einstmals berühmt als Vergnügungsschankgarten, heute Bauhaus, Bowling, Denny-Boys Biomarkt. +++ Gestern war ich mit dem Sohn in Friedenau durch die Ceciliengärten geschlendert, am Rande sprachen wir über Hans Baluschek. Der hatte zeitweilig eine Ehrenwohnung dort bewohnt, bevor der Faschismus ihm als entarteten marxistischen Künstler jegliche Ehren absprechen sollte. Mein Bild mit den zwei Autos erinnerte mich später am Abend an ihn. +++ Jetzt will ich Sie aber nicht länger auf die Folter spannen: Das Kraftwerk Gottes, die Kirche am Hohenzollernplatz in Wilmersdorf nämlich – auf dem Wege zur U-Bahn letztens hatten besagter Sohn und ich kurz davor innegehalten. Eine Tafel klärte uns über die Neue Sachlichkeit und die Ähnlichkeit auf zur Architektur des Kraftwerkes Klingenberg. Da hörten wir in der Ferne eine Rollstuhlfahrerin hysterisch herumschreien. Sie kam uns langsam entgegengerollt, das Gesicht zu einer Fratze verzerrt. Wortlos schauten wir uns mit diesem Die-hat-doch-auch-einen-an-der-Klatsche-Blick an: „Tod den Grünen, Tod den Grünen, Tod den Grünen!!!“, brüllte sie, dabei besessen mit dem Oberkörper auf- und abwippend. Sie hatte uns längst ins Visier genommen – und als sie an uns vorüberzog, funkelte sie mich linkisch von unten an: „Du bist doch ganz bestimmt auch gespritzt!“

 

Überschrift inspired by/Lyrics: So Why So Sad © Manic Street Preachers, 2001

Überschrift also inspired by: Christoph Daum (* 24. Oktober 1953 in Zwickau; † 24. August 2024 in Köln), dt. Fußballtrainer

Hans Baluschek (* 9. Mai 1870 in Breslau; † 28. September 1935 in Berlin), dt. Maler, Grafiker und Schriftsteller, gehörte der Berliner Secession an

Kirche am Hohenzollernplatz, Berlin-Wilmersdorf – genannt „das Kraftwerk Gottes“

Aperol Spritz / Das Kraftwerk Gottes.

Familienfotos an Orten: Hotel Wagner, Riezlern/Vorarlberg (Österreich) © Kai von Kröcher, 2025

 

We decided that we would have a soda. +++ Als Internet-Influenzerin melde ich mich heute zurück, meiner Nichte in ihrer Bergwelt dort unten in Vorarlberg zum Geburtstag zu gratulieren. Der Has-o-mat und ich hatten neulich ein paar wunderbare Tage bei ihr verbracht, da haben wir unter anderem auch diese Probeaufnahme für meine in Vorbereitung befindliche Serie Familienfotos an Orten (Arbeitstitel) inszeniert. +++ Die Überschrift oben wirkt etwas zusammenhangslos in diesem Zusammenhang. Das kommt möglicherweise daher, dass sie eigentlich für eine andere Geschichte gedacht war. Die hatte ich in diesem Zusammenhang heute hier einfügen wollen. Bis sie mir aber viel zu lang erschienen war, und ich sie nun in einem anderen, einem neuen Kontext vielleicht irgendwann anders hier veröffentlichen werde – sie ist super.

 

Überschrift inspired by: Aperol spritz – ital. Mixgetränk aus Weißwein und/oder Prosecco mit Soda und Aperol

Überschrift also inspired by: Kirche am Hohenzollernplatz, Berlin (1930 – ’34 erbaut im Stile der Neuen Sachlichkeit nach Entwürfen von Ossip Klarwein)

Lyrics: You Can’t Always Get What You Want © The Rolling Stones, 1969

If then now / Ein Mann will nach oben.

Fiktive Postkarten: Berlin-Mitte, sozialistische Moderne © Kai von Kröcher, 2023

 

We decided that we would have a soda, my fav’rite flavour, Cherry Red. +++ Neulich saß ich mit meinem Sohn im 181er Doppeldeckerbus von Britz-Süd Richtung Steglitz im Oberdeck vorne am Fenster. Wir hatten Plätze in der Bank rechts, links vorn saß ein Junge, der war ungefähr etwas jünger als Otto. Vielleicht Ende fünf, Anfang sechs. In der Sitzreihe hinter ihm saß sein Vater, der Bus war relativ leer. Der Vater sprach laut und humorlos, er füllte den ganzen Bus. Wie ein kratzender Pullover, der einem die ganze Zeit latent auf den Nerv geht. +++ Kommenden Samstag übrigens, falls Sie Lust und Zeit haben und die Welt bis dahin nicht untergegangen ist, präsentiere ich in Mitte eine Auswahl meiner Bilder als Prints. Fotoarbeiten aus vier oder fünf verschiedenen Serien, die es teilweise bislang noch nirgends zu sehen gab. Die kann man da kaufen – zu einem, wie man zu sagen pflegt, moderaten Preis. +++ Ohne ihm zu nahe treten zu wollen, würde ich diesen Vater da in dem Bus als Sympathieträger einstufen. Und anfangs kapierte ich auch gar nicht, worum es die ganze Zeit ging. Er reichte dem Sohn ständig sein Handy nach vorn, der musste sich da irgendwas ansehen. Und dann stellte der Vater dem Kind immer so Fahrlehrer-Fragen: Du kommst da von vorn und willst jetzt links abbiegen – wer hat Vorfahrt? Was bedeutet das Schild da mit den drei Strichen? Ab welcher Mindestgeschwindigkeit darf man auf deutschen Autobahnen fahren? Und am Ende fast immer: „Nein, das ist falsch!“ Als Vater und Sohn endlich ausstiegen, rollten Otto und ich mit den Augen. +++ Kommenden Samstag also findet der Kunstmarkt Prints, Editions & Art Market vor dem Haus Schwarzenberg statt, da nehme ich teil. In dem letzten noch nicht renovierten Hof neben den Hackeschen Höfen. Initiiert wird das ganze von Danielle de Picciotto, die ich sehr schätze. Alexander Hacke von den Neubauten legt Musik auf, der Gentleman of the Year und La Selmer verkaufen die Restauflage ihres außerordentlich empfehlenswerten KI-Buchprojekts. Und ich – ich freue mich, den Sprung endlich nach Mitte geschafft zu haben! So, wie Harald Juhnke immer gesagt hat, die weiteste Reise seines Lebens sei die vom Wedding nach Grunewald gewesen.

 

Überschrift inspired by: If then now (Fotoband) © Ulla Selmer & Kai Heimberg, 2024

Überschrift also inspired by: Ein Mann will nach oben (Fallada-Fernsehverfilmung, u.a. mit Harald Juhnke) © Herbert Ballmann (Regie), ZDF/ORF/SRG 1978

Lyrics: You Can’t Always Get What You Want © The Rolling Stones, 1969

Prints, Editions & Art Market | Haus Schwarzenberg (Eschschloraque) | Rosenthaler Straße 39 | Berlin-Mitte | Sa., 2. August | 14:00 – 20:00 Uhr

Vertretene Künstler: Bruise Studio, Christian Reister, Danielle de Picciotto, Doomsday Graphics, Fehmi Baumbach, Frauen machen Druck, Happy Potato Press, Kabukia, Kai von Kröcher, Kai Heimberg, Ulla Selmer, Kiddy Citny, Lauryn Zoe Hinsch, Luise Liu, Lula Valletta, Many Tentacles, Melo Melo Lab, Niels Kalk, Oxana Chi, Rakz, Serigraffeur, Supalife Kiosk, Xuehka, Yehudi

 

 

 

Like a portrait in flesh / How I ended up in the Bahamas with Lenny Kravitz.

Der Hauptmann von Köpenick © Kai von Kröcher, 2021

 

Never here, never seen, secret life ever green. +++ Den Post heute muss man nicht unbedingt verstehen, er ist auch keineswegs die großspurig angekündigte Fortsetzung mit Sprengstoff – zum Geburtstag einfach nur alles Gute gewünscht!

 

Überschrift inspired by: Sweet Thing / Candidate / Sweet Thing (Reprise) © David Bowie, 1974

Überschrift also inspired by: How I ended up in the Bahamas with Lenny Kravitz (Youtube-Video) © Fred and Harry Borden, 2024

Bildunterschrift inspired by: Der Hauptmann von Köpenick (Tragikkomödie in drei Akten) © Carl Zuckmayr, 1931 

Lyrics: The Secret Life of Arabia © David Bowie, 1977 

Behind the Clapperboard / Warum ich.

Oktober November: Martin Gschlacht – 4. Drehtag, Potsdamer Platz 1 (Restaurant Essenza) © Kai von Kröcher, 2012

 

A man in the dark in a picture frame, so mystic and soulful. +++ Vorgestern schaute ich mir dann noch einige Videos von Harry Borden und seinem Sohn an, so dass mich ganz schlagartig die schleichende Angst überkam, ich sei nun womöglich unheilbar internetabhängig. +++ Sowieso süchtig, sah ich mir später auch noch die erste Folge einer Mini-Serie namens Warum ich? in der ARD-Mediathek an. Wurde im Vorfeld ja hochgelobt – und wirklich sah das echt gut aus, das war jetzt nicht Großstadtrevier! Charly Hübner als Schlagersänger, irgendwo am tiefsten Punkt seiner Karriere angekommen, der das in Würde zu meistern versucht. Charly Hübner würde bestimmt niemals auf Kosten derer am Boden spielen, von daher mit gutem Gewissen recht amüsant. +++ Okay, und hier versuchen jetzt zwei Erzählstränge ineinander zu fließen. Dass ich nämlich selbst auch gern einmal Fotografen-Geschichten wie Harry Borden erzählen würde, und zum anderen: der Kameramann der Serie Warum ich? heißt Martin Gschlacht. In diesem Falle ein dankbarer Elfmeter für mich: Martin Gschlacht nämlich hatte ich kennenlernen dürfen während der Dreharbeiten zu Götz Spielmanns Kinodrama Oktober November, das zum überwiegenden Teil zwar in Österreich spielt, dessen Geschichte aber, wenn ich mich recht erinnere, hier in Berlin beginnt. +++ Zu Martin Gschlacht kann ich dann allerdings gar nicht viel sagen, außer, dass er immer sehr konzentriert und eher zurückhaltend war. +++ Das war’s dann also für heute, doch die Geschichte ist damit natürlich noch längst nicht zu Ende – die Fortsetzung birgt durchaus Zündstoff!

 

Überschrift inspired by: Behind the Clapperboard – Facebook-Gruppe mit Fotos von hinter den Kulissen beim Filmdreh

Überschrift also inspired by: Warum ich? (6-teilige TV-Serie) © David Schalko (Drehbuch/Regie), AT 2024

Lyrics: Vienna © Ultravox, 1981

Harry Borden (* 1965 in New York City), engl. Fotograf

Oktober November (Drama mit Ursula Strauss, Nora von Waldstätten u.a.) © Götz Spielmann (Drehbuch/Regie), AT 2013

Cindy und Bert / Der Hund von Baskerville.

Oktapolare Fotografie: Winterlandschaft mit Hund II (Grand Hotel Viktor Orbán) © Kai von Kröcher, 2024

 

Nebel zieht in dichten Schwaden übers Moor von Forrest Hill und verbirgt des Rätsels Frage um den Hund von Baskerville. +++ Ich möchte diesen Post nutzen, mich bei Ihnen für mein asoziales Verhalten letztens zu entschuldigen: Das neulich war sicherlich nicht ich selbst, der Sie da spontan und übelst beleidigt hat. +++ Aber um mal auf das Bild oben zu sprechen zu kommen, das mag Ihnen möglicherweise bekannt vorkommen – da allerdings gehen Sie einer entscheidenden Täuschung auf den Leim. +++ Ich bin heute auf den Youtube-Kanal des englischen Fotografen Harry Borden gestoßen, den fand ich extrem interessant. Nicht nur, weil er irgendwie aussieht wie Mehmet Scholl – Borden erzählt darin auch viele Hintergrundgeschichten über die Höhen und Tiefen, manche Unwägbarkeiten und spezielle Herausforderungen seiner Shootings mit den verschiedensten Protagonisten. +++ Sie sind doch manchmal im Internet?! +++ Das Bild oben ist die Geisterhund-Version einer Aufnahme, die ich am 16. April vorigen Jahres schon einmal hier gepostet hatte. Nur, dass das Bild diesmal eine Überblendung aus drei verschiedenen Tagen zeigt. Ich finde das schon, ohne übertreiben zu wollen, eine sehr geile Arbeit. +++ Dieser Harry Borden jedenfalls wird da in seinen Videos anscheinend immer von seinem Sohn befragt, das wäre ja mal eine Idee für die Zukunft! Auf jeden Fall schon schön wegen des Akzents, das kann ja nun auch nicht grad schaden. +++ Zuletzt hatte ich komischerweise häufiger an Michael Spencer Jones denken müssen, der der Hausfotograf von Oasis war. Und der seine Originalabzüge vor Jahren im Posh Teckel drüben in Neukölln ausgestellt hat. Die Rahmen dafür, und darauf bin ich jetzt auch schon wieder irgendwie stolz, hatte mein alter Freund Schlichti speziell für ihn angefertigt. Als Schlichti und ich in den Achtzigerjahren mit unserer Band damals am Ruhm gekratzt haben, da gab es Oasis immerhin ja noch gar nicht, aber ich schweife ab. +++ Bei Harry Borden jedenfalls klingt zaghaft durch, Liam Gallagher dürfte der eigentlich umgänglichere der beiden Brüder gewesen sein, da muss ich mich jetzt schon wieder entschuldigen. +++ Er (Harry Borden/Anm.d.Red.) erzählt auch von zwei Fotoshootings mit Jarvis Cocker, und da baue ich hier jetzt ganz perfide eine Fangfrage ein. Einfach, um mal zu sehen, ob dieser Blog auch noch immer von allen aufmerksam gelesen wird: Welche in Hamburg nämlich lebende Buchhändlerin besitzt, wenn ich mich recht erinnere, einen Kugelschreiber, den ihr eben jener Jarvis Cocker einstmals geschenkt hat? +++ Irgendwas wollte ich noch sagen.

 

Überschrift inspired by/Lyrics: Der Hund von Baskerville © Cindy & Bert, 1970 (Black-Sabbath-Cover)

Harry Borden (* 1965 in New York City), engl. Fotograf

Posh Teckel | Pflügerstr. 4 | 12047 Berlin

William John Paul „Liam“ Gallagher (* 21. September 1972 in Manchester), Sänger

The Hound of the Baskervilles (Sherlock–Holmes–Fortsetzungsroman) © Arthur Conan Doyle, 1901

Buchhandlung Blattgold | Wexstr. 28 | 20355 Hamburg

 

Künstliche Intelligenz für Babys (ab zwei) / Kai Trump Was Right About Everything.

Tesla am Kurfürstendamm: „I took these pictures before Elon went crazy“ © Kai von Kröcher, 2018 (Triptychon)

 

Here in my car I know I’ve started to think about leaving tonight although nothing seems right in cars.

 

Überschrift inspired by: Künstliche Intelligenz für Babys ab 2 Jahre (wissenschaftliches Pappbilderbuch) © Chris Ferrie, 2025

Überschrift also inspired by: Kai Trump (* 12. Mai 2007 in New York City), US-amerikanische Influencerin und Enkelin des okayen Präsidenten

Lyrics: Cars © Gary Numan, 1979

Doppie esposizioni / It’s a God-awful small affair.

Doppie esposizioni: Qualitätsheizkraftwerk Reuter-West (Spandau) © Kai von Kröcher, 2017

 

This ain’t no place to be if you planned on being a star. +++ Erinnern Sie sich an meine Esposizioni quadruple, an die Ausstellung damals am Wasser? Geile Zeit gewesen, kommt nicht wieder. +++ Man sagt ja gern, alles kommt wieder. Aber stimmt das auch? Wie ist Ihre persönliche Meinung dazu? Mir fällt heute nichts ein, Sie merken es schon. Ich überlege gerade, Sie spontan einfach mal zu beleidigen. Einfach so aus dem Blauen heraus. Out of the blue, wie Major Tom seinerzeit. +++ Sie blöde Sau. +++ Aber noch einmal zurück zu den Esposizioni quadruple, mir ist da neulich eines davon in die Hände gefallen, und da habe ich, inspiriert durch Wladimir Putin, da habe ich dieses Bild einfach erdrosselt. Genau genommen zerstückelt. Ergebnis sehen sie oben: Doppie esposizioni. +++ Eine Mischung aus aufwühlender Langeweile und Krastination lähmt mich heute Vormittag. Prokrastination, besser gesagt. +++ Ich werde Sie jetzt erlösen und mich vorläufig ausloggen.

 

Überschrift inspired by: Doppie esposizioni (Fotoserie) © Kai von Kröcher, 2025

Überschrift also inspired by: Life on Mars? © David Bowie, 1971

Lyrics: Car Wash © Rose Royce, 1976

Ashes to Ashes © David Bowie, 1980

Fiktive Postkarten, anonyme Kuverts / If you love somebody set them free.

Fiktive Postkarten: Berlin – Gruß aus der Schlange © Kai von Kröcher, 2024

 

If I had a box just for wishes and dreams that had never come true. +++ Vielleicht hätte ich gern mal eine Wohnung in der Schlange. Ein bisschen wie das Kraft-durch-Freude-Seebad Prora auf Rügen. Lässt sich zumindest echt schwer fotografieren. Im Hauptgebäude allein gibt es wohl 1064 Wohnungen – ob man da dann für alle auch die Pakete annehmen muss? +++ „Würden Sie, nebenbei gesagt, wenn Ihr Nachbar seine Wohnung neu tapeziert, sich verpflichtet fühlen, Ihre Wohnung ebenfalls neu zu tapezieren?“ (Kurt Hager, 1987) +++ Letzte Woche hatte ich Montag endlich mal wieder einen Zahnarzttermin. Nachdem ich dem Schlächter vom Bülowbogen leider etwas sehr spät aus den, wie sagt man, Fängen entwichen war. Jedenfalls habe ich jetzt eine Zahnärztin gefunden, die mich nicht anschreit. Die praktiziert mittlerweile ungefähr dort, wo nach der Wende am Kollwitzplatz das Café Westphal war. +++ Okay. +++ Auf dem Weg dorthin fiel mir ein Schwarzweiß-Foto ein, das bei meinem Freund F. an der Wand in der Uckermark hängt: In den Achtzigerjahren hatte der Fotograf Christian Thiel die Fassade einer profanen HO-Trinkgaststätte am Wasserturm eingefroren, heute ein prosaisches Thai-Restaurant, zwischen Pasternak und Hausbar gelegen. Ich also machte spontan einen Bogen, fotografierte das Bild aus etwa der gleichen Perspektive mit dem Handy nach. Dann ging ich zur Praxis. Und siehe da, Girocard formally known as EC-Karte, Krankenversichertenkarte und Personalausweis waren allesamt weg, hatten vorher im Handy gesteckt. Zurückgelaufen, nüschte, direkt die EC-Karte sperren lassen. +++ Stunden später, am Nachmittag, traf ich mich an der Ecke Ankerklause verschwörerisch mit einer jungen Frau, die hatte alles gefunden. Vorm Pasternak, wo sie arbeitet. Nicht einmal einen Finderlohn wollte sie annehmen – das Karma gebe ihr das irgendwann einmal auf anderem Wege zurück. +++ Am Samstag holte ich meinen Sohn von einem Kindergeburtstag in Friedrichshain ab. Auf dem Weg zurück bekamen wir eine Nachricht von seiner Mutter, sie habe im Prinzenbad ihr Portemonnaie verloren. Es sei aber tatsächlich gefunden und abgegeben worden, und ob ich es mit Otto vielleicht abholen könne. Sie würde mir eine Vollmacht schicken. Ich schrieb zurück, was ich in so einem Fall immer zurückschreibe: „Ich bin ja kein Schwein!“ +++ Aber natürlich wäre die Geschichte unbefriedigend, hätte ich ihr kurz darauf nicht auch dieses hier noch geschrieben: „Scheiße, jetzt habe ich schon wieder meine ganzen Karten verloren, ich kann mich nicht einmal mehr ausweisen!“ +++ Und natürlich wäre die Geschichte noch immer keine gute Geschichte, hätte der Briefträger mir gestern keinen anonymen Umschlag mit der Schrift einer älteren Frau durch den Türschlitz gesteckt …

 

Überschrift inspired by: Fiktive Postkarten (Fotoserie) © Kai von Kröcher, seit 2021

Überschrift also inspired by: If You Love Somebody Set Them Free © Sting, 1985

Lyrics: Time in a Bottle © Jim Croce, 1972

Autobahnüberbauung Schlangenbader Straße (umgangssprachlich Schlange), West-Berliner Wohnkomplex der 70er Jahre mit weltweitem Alleinstellungsmerkmal

Kurt Hager (* 24. Juli 1912 in Bietigheim; † 18. September 1998 in Berlin), dt. Politiker der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands

Born in the G.D.R. © Sandow, 1988

Bonnie and Clyde / Amoureux solitaires dans une ville morte.

Amoureux solitaires: Menschen in der autogerechten Stadt (Triptychon) © Kai von Kröcher, 2018

 

Un peu de beauté plastique pour effacer nos cernes de plaisir chimique pour nos cerveaux trop ternes que nos vies aient l’air d’un film parfait. +++ Liebe in der autogerechten Stadt. Doch was wissen wir schon über das nicht mehr ganz mittelalte Paar, das da unter einem Autobahnzubringer offenbar vom Einkauf zum Parkplatz zurückschlendert? Lassen Sie uns in die beiden Protagonisten hineinprojizieren: Ein spießiges Ehepaar aus einer Einfamilienhaussiedlung am Stadtrand, emotional verkümmert an den Mechanismen des Alltags. Liebe und Hass und Gleichgültigkeit. Ein Geschwisterpaar vielleicht, schutzsuchend auf ewig aneinandergeklammert – weil es in der unwirtlichen Welt dort draußen niemanden zum Anlehnen gibt. Eine heimliche Affäre in der Anonymität der Großstadt. Hemmungslos ausgelebte Sexualität mit Schweinsmasken aus Gummi und lustvollen Qualen – es wird sich vermutlich niemals herausfinden lassen.
Überschrift inspired by: Bonnie and Clyde © Brigitte Bardot & Serge Gainsbourg, 1968
Überschrift also inspired by/Lyrics: Amoureux solitaires © Lio, 1980
Schlangenbadener Straße, Berlin-Wilmersdorf