Every Breath You Take / Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war.

Oktapolare Fotografie: A Ecke O, zwei Tage vor Weihnachten © Kai von Kröcher, 2022 (Screenshot)

 

Standin‘ on the corner, suitcase in my hand. Jack is in his corset, Jane is in her vest – and me, I’m in a rock ’n‘ roll band. +++ Manch einer weiß es, andere wissen es nicht: In einem längst verklungenen Leben bin ich mal Popstar gewesen. Selbst das Internet erinnert sich nicht, doch das macht es noch lange nicht unwahr – im Gegenteil! In den Achtzigerjahren war ich leibhaftig Sänger der damals wohl populärsten New-Wave-Band der mittleren Großstadt BS, ganz ohne Quatsch. Besonders doll singen konnte ich technisch betrachtet jetzt vielleicht nicht, irgendwie aber passte in dieser Band doch so überdurchschnittlich viel zusammen, dass der nationale bis internationale Durchbruch dort für den mittleren Großstädter längst beschlossene Sache schien. +++ Vorletzte Nacht schlief ich bei sperrangelweit geöffnetem Fenster. Im Herbst ist das oftmals ein regelrechter Zwang, wenn draußen die Luft nach Agenten schmeckt – die Decke muss warm sein, da schlafen Sie wie ein Stein. Um sieben am Morgen wurde ich von Geschrei geweckt. Ich hörte meinen Nachbarn zwei Stockwerke über mir brüllen: „Nimm deinen Scheiß und verzieh dich, sonst komm ich dir runter!“ Verstohlen trat ich ans Fenster. Auf dem Bürgersteig stampfte eine Art wütendes Wesen wie aufgezogen herum, einen Seesack vor unserer Tür abgestellt. Gerade als mir ein Licht aufging, schrie sie (die Frau, als die sie sich entpuppte/Anm.d.Red.) mit tiefer, unheimlicher Stimme einen Namen, den ich irgendwo schon gehört hatte: „Kai von Kr***er, Braunschweig!“ Den Nachnamen spie sie irgendwie falsch aus, dafür rannte sie unbeirrt auf unsere Haustür zu und im selben Moment schellte bei mir oben die Klingel. +++ Okay, ich klär‘ das mal auf: Vor etwa zehn Jahren schickte mir in den sozialen Netzwerken eine Frau, die ich nicht kannte, eine Nachricht. Sie outete sich als ein Fan von damals aus Braunschweig. Ich fühlte mich amüsiert bis geschmeichelt, antwortete freundlich. Habe die Sache dann wieder vergessen. Bis meine Barkeeperlegenden im ruhmreichen club49 seinerzeit von einer offensichtlich nicht ganz richtig im Kopf seienden Frau berichteten. Die sei in die Kneipe gekommen war und habe sich als Fan von mir von früher aus Braunschweig gebrüstet. War sämtlichen Gästen schwer auf die Nerven gegangen. Ich selber bin ihr zu der Zeit nie begegnet, habe dann später durch Zufall aber erfahren, dass sie wohl regelmäßig im Grand Hotel Viktor Urbán residiert, psychiatrische Abteilung, Station 3 oder 4. +++ Letztens bin ich morgens mit meinem Sohn auf den Rasen vorm Urban kicken gegangen, Torwarttraining und so – rechts, links, unten und oben. Da brüllte jemand vor dem Urban mit einer tiefen, irgendwie geistesgestörten Stimme meinen Namen. Otto und ich haben das Weite gesucht. +++ Das erinnert mich gerade dunkel an Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war, diesen Roman von Joachim Meyerhoff. Ich weiß nicht, ob das Buch autobiografische Züge trägt, sein Vater ist darin Chef einer psychiatrischen Klinik und sie wohnen auch dort auf dem Gelände zwischen all den Patienten, was sich charmant und sehr witzig liest. Für Ortsunkundige sollte ich erklären, dass sich das Grand Hotel Viktor Urbán mit seiner psychiatrischen Abteilung vis-à-vis unserer Wohnung in den Himmel kratzt und seine Insassen gerne davor und am Kanal flanieren, während sie rauchen. +++ Das wird aber wieder eine lange Geschichte. +++ Meinem Sohn hatte ich vor ein paar Wochen mal einen Song vorgespielt, ich dachte, es sei jetzt mal an der Zeit: „Rate mal, wer das ist!“ Das hatte ihn ehrlich erstaunt: „Weiß Mama, dass du in einer Band warst?!“ Eher wohl nicht, ich bin mir da gar nicht so sicher – man darf die Vergangenheit gern auch mal ruhen lassen! +++ Mein Nachbar von oben jedenfalls dürfte gestern wohl direkt aus dem Bett gekommen sein, die Frau aus dem Urban beschimpfte ihn lauthals als Nazi-Opa, ich konnte ihn ja nicht sehen: „Nackt auf dem Balkon, du Schwein – ich bin eine Frau!“ Dann lief sie aufgeregt über die Straße, krakelte maskulin derb wie ein albanischer Kettenraucher immerzu „Mörder!“ und „Helfe!“ (sicherlich meinte sie „Hilfe“, schrie aber „Helfe“). +++ Und damit, wie ich abends immer zu meinem Sohn sage, ist die Geschichte zu Ende. Nur eine Sache noch kurz: Im letzten Jahr hatte sie tatsächlich einmal direkt vor meiner Wohnungstür gestanden. Unter irgendeinem fadenscheinigen Vorwand hatte sie geklingelt bei mir geklingelt: „Kai von Kr***er – ich wollte nur fragen, ob die Oma von Dieter* hier noch im Haus wohnt!“

 

Überschrift inspired by: Every Breath You Take © The Police, 1983

Überschrift also inspired by: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war (Roman) © Joachim Meyerhoff, 2013

Bildunterschrift inspired by: A Ecke O © Winson, 2004

Lyrics: Sweet Jane © The Velvet Underground, 1970

La Petite Mort (* 1982 in Braunschweig; † 1989 ebenda), New-Wave-Band

Klinikum Am Urban | Dieffenbachstraße 1 | 10967 Berlin

The Lunatics (Have Taken Over The Asylum) © The Fun Boy Three, 1981

* oder von Jens, von Klaus, von Bernd oder von wem auch immer

 

 

Das Brot der frühen Jahre / Comme d’habitude.

Caspar David Friedrich: „Stadion an der Alten Försterei in der Wuhlheide“ © Otto G., 2024

 

Der Trick besteht darin, ein Ding so anzusehen, als wäre es kein Ding und als wüsste man nicht, was es ist. +++ Erklären Sie mich für verrückt, aber der Name des ehemaligen Deutsch-Hip-Hop-Rap-Trios Fettes Brot aus der Freien und Hansestadt – ich hatte (wirklich) immer geglaubt, die hätten sich nach irgendwas von dem Böll benannt: Das Brot der fetten Jahre, oder so. Wie bildungsfern man doch immer durchs Leben rennt! +++ Eine interessante Geschichte verbirgt sich auch hinter Life On Mars? – speziell, was die Verbindung zu Frankie-Boys Jahrhundert-Song My Way nämlich betrifft: Hätten Sie das gewusst? (Googeln müssen Sie aber schon selbst!) +++ So weit, so gut. +++ Und was hat das alles mit Fettes Brot zu tun? +++ Aus ungeklärter Quelle sind mir auf der Berlinale neulich folgende News zugespielt worden: In dem Politthriller Arm, aber sexy übernimmt Alec Baldwin die Rolle des Regierenden Klaus. +++ Mein Sohn Otto hatte neulich gefragt, ob ich auf meinem Laptop auch das Lied Zu Hause angekommen spielen könnte, das liefe oft gegen Abend bei radioeins. „Nu gloar, da gugge mör mo“, sagte ich. Zu Fettes Brot hatte ich im Maximalfall immer ein eher so etwas ambivalentes Verhältnis gehabt, den Song von König Boris solo hier fand ich aber selber recht gut. +++ Sie wissen ja, wie ich zu Videoschauen und Kinder stehe, aber das zu der Nummer durfte Otto sich direkt ein paar Mal hintereinander anschauen. Dieser König Boris sieht darin aus wie der uneheliche Bruder der Schauspieler Marek Harloff und Rainer Hunold, der Song selbst erinnert auf sentimentalste Weise an Philadelphia von Bruce Springsteen – obwohl es im direkten Vergleich dann auf einmal gar nicht mehr „matched“, wie man so sagt. +++ Als er da so saß und diese Ode an Hamburg studierte, meinte der Sohn plötzlich: „Papa, das passt doch gar nicht zusammen! Erst sagt er, ‚dass wir kein‘ Sternenhimmel haben, ist man fast schon gewohnt‘, und später sagt er, ‚der leuchtende Stern über mir ist ein Satellit‘.“ +++ Erwischt, König Boris! +++ Vor kurzer Zeit begann Otto sich für Fotografie zu interessieren. Ich habe ihm meine Canon G1X als Dauerleihgabe vermacht, und letzten Sonnabend sind wir dann auf zur Alten Försterei. Haben uns das Treiben um das Bundesligaspiel Union gegen Heidenheim von draußen in der Wuhlheide angeschaut und -gehört. Geblieben sind ein sehr schöner Nachmittag, eine Reihe erstklassiger Fotos – und eine ärgerliche Punkteteilung. +++ Im Gegensatz zu Kubicki und mir besuchte Rainer Hunold übrigens das ehrwürdige Braunschweiger Raabe-Gymnasium, nicht etwa die links-grün versiffte HvF!

 

Überschrift inspired by: Das Brot der frühen Jahre (Erzählung) © Heinrich Böll, 1955

Überschrift inspired by: Come d’habitude © Jacques Revaux (Musik), Claude François und Gilles Thibaut (Text), 1967

Textauszug aus: Lichtspiel (Roman) © Daniel Kehlmann, 2023

Caspar David Friedrich (* 5. September 1774 in Greifswald; † 7. Mai 1840 in Dresden), Meister der deutschen Romantik

Life On Mars? © David Bowie, 1971

Alec Baldwin (* 3. April 1958 in Massapequa auf Long Islands, New York), US-amerikanischer Schauspieler, Synchronsprecher und Filmproduzent

Klaus Wowereit (* 1. Oktober 1953 in West-Berlin), ehem. Regierender Bürgermeister Berlins

Zu Hause angekommen © König Boris, 2024

Streets of Philadelphia © Bruce Sprinsteen, 1994

Marek Harloff (* 22. April 1971 in Hamburg), Synchronsprecher und Schauspieler

Rainer Hunold (* 1. November 1949 in Braunschweig), dt. Schauspieler und Autor

1. FC Union Berlin – 1. FC Heidenheim | Stadion an der Alten Försterei | 24. Februar 2024 | 2:2

 

Jaws / Auf den Schwingen des Todes.

Memory of a Free Festival (signiert) © Otto Glunz, 2023

 

I’m just a gift to the women of this world. +++ Heißen hätte es gestern müssen: Drüben in Amiland, wie ich gerne zu sagen pflege. Drüben in Amiland wird Midazolam zur Vollstreckung der Todesstrafe gespritzt, nicht etwa einfach nur begleitend zur Beruhigung der Nerven – man injiziert es als das totbringende Gift himself. +++ Verstehen Sie? +++ Wie gesagt, hatten wir uns über das Internet kennengelernt. Dieses Momentum des unbestreitbaren Leidensdrucks hatte ich nutzen wollen, eine Entscheidung treffen zu müssen wie ein Mann – den roten Atomknopf drücken, es gibt kein Zurück. +++ Zeitgleich mit der – wie nennt man das in der Arztpraxis: die Frau, die da sitzt, wo man sich anmeldet? Mit der zusammen kam ich früh morgens vor der Praxistür an. Und einer Arzthelferin, pünktlich wie der sprichwörtliche Maurer. Viel später erst traf der Zahnarzt ein, er legte der Empfangsfrau wortlos etwas auf ihren Tresen. Eine Tüte mit Äpfeln? Beim FC Bayern würde man sagen, er habe „die Kabine verloren“. +++ Meiner Meinung nach jedenfalls hatte Wolodomyr, der Zahnarzt, der an Pál Dárdai erinnerte, im Vergleich „zu dem Ungarn“ allerdings kein Freund freundlicher Worte zu sein schien. Rein vom Feeling her hatte Wolodomyr den Empfangstresen verloren: Die quirlige Frau mit der Frisur vorn an der Anmeldung ließ ihren Chef spüren, wer hier der Chef war. Ich saß hinten im Zahnarztstuhl und wartete auf meine orale Dosis Midazolam, sie drehte vorne den Radiosender 94,3 rs2 auf. Ein gutgelaunter Moderator, der alle duzte, wollte von seinen Hörerinnen wissen, wie viele Paar Schuhe sie zu Hause im Schrank haben. Eine Frau aus Marxwalde rief an, die besaß nur ein einziges Paar. Und fand es super, nicht noch mehr Schuhe zu haben – der Moderator fand das crazy. Stoisch wartete ich auf mein Midazolam, in Insider-Kreisen „Egal-Pille“ genannt…

 

Überschrift inspired by: Der Weiße Hai (Jaws, Thriller) © Steven Spielberg, USA 1975

Überschrift also inspired by: Auf den Schwingen des Todes (A Prayer for the Dying, mit Mickey Rourke) © Mike Hodges (Regie), USA 1987

Bildunterschrift inspired by: Memory of a Free Festival © David Bowie, 1969

Lyrics: A Gift © Lou Reed, 1976

Midazolam: Arzneistoff aus der Gruppe der kurzwirksamen Benzodiazepine mit angstlösender und entspannender Wirkung

Es gibt kein Zurück © Thimo Sander, 2019

Pál Dárdai (* 16. März 1976 in Pécs), ungarischer Fußballspieler, seit vergangener Woche zum dritten Mal Trainer von Hertha BSC

94,3 rs2: Berliner Privatsender, 1992 hervorgegangen aus dem West-Berliner RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor)

Neuhardenberg (bis 1814 Quilitz, 1949–1990 Marxwalde), Gemeinde im Landkreis Märkisch-Oderland / Brandenburg

Because You’re Young / Essig & Öl.

Fiktives Vinyl: Brockdorf – Weil du ein Kind bist © Kai von Kröcher, 2011/2022

Cindy, incidentally, baby I ain’t putting you on. +++ Mein Sohn gestern beim Einkaufen schlug spontan vor (oder es war von langer Hand vorbereitet), wir könnten abends doch mal einen Salat essen – einen Salat! In meinem Leben habe ich noch niemals selbst einen Salat gemacht oder angemacht oder wie immer man sagt, und immerhin breche ich längst meine jetzt (aller)letzten Fünfzigerjahre an. +++ Mein dreijähriger Sohn und ich, wir berieten uns in der aufziehenden Blauen Stunde und einigten uns ohne Konflikte: Auch beim Discounter Netto würde es einen fertig in Plastik verpackten Salat für uns geben. Wir nahmen ganz simpel die Lollo-Rosso-Basisversion, später schnitt ich Tomaten und Reste von Parmesan hinein – plus Essig und Öl, wunderbar!

 

Überschrift inspired by: Because You’re Young © David Bowie, 1980

Überschrift also inspired by: (These Should Not Be) Forgotten Years © Midnight Oil, 1990

Lyrics: Cindy Incidentially © Faces, 1973

Wunderbar © Wolfgang Riechmann, 1978

Ich bin Toni Krahl / Last-Minute-Geschenke von Amazon.

Deep Fuck Records: Treffer Hornbach – du gehst noch mal weg (Virgin) © Kai von Kröcher, 2021

 

Wo die ganzen alten Häuser waren. Neues Graffiti an den Wänden. Und die Hortensien blühen weiter. +++ Zum Jahresende werden überall gerne Lieblingslisten gesammelt, Sie wissen es. Und mein vielleicht liebstes Lied 2021 stammt wahrscheinlich noch immer von Zweitausendzwanzig. +++ „Ich bin Toni Krahl“ – ein Satz wie ein Peitschenhieb, das hat mich bis heute nachhaltig beeindruckt: Als wäre ich heimlicher Gast damals eines verbotenen Kultes gewesen. Eine versunkene Welt – davon wollen Sie gar nichts wissen. +++ Apropos: War es in diesem Jahr, diesem Sommer – oder ist es ebenfalls schon 2020 gewesen? Im Laufe Coronas verliert man trotz Google Earth ab und dann und wann seinen Bezug zu Raum und Zeit. +++ Und wie heißt EU-Ratspräsident Michel eigentlich mit Nachnamen? +++ Jedenfalls war das in diesem oder im vorigen Frühsommer wahrscheinlich. Es war schon angenehm warm, T-Shirt-Wetter. Ich setzte mich irgendwo in die S-Bahn und fuhr, getrieben von meinem Lieblingssong. Ich fuhr bis Karlshorst. Es war gerade ein neuer Lockdown beschlossen – nach neun, zehn, elf Uhr mussten auch alle Spätis geschlossen sein. Und so sprang ich Karlshorst von der Bahn, holte an einem Döner-Kebab-Imbiss unten am Bahnhof ein Bier – und in der einsetzenden Abenddämmerung ließ ich mich die verlassene Trabrennbahn entlang mäandern. +++ Eigentlich soll man die Bilder seiner Kinder nicht in den sozialen Netzwerken verbreiten, da geh ich mit Ihnen durchaus d’accord. Der mystische Schnappschuss auf der Plattenhülle (oben) aber darf meiner Ansicht nach Ausnahme der Regel sein: Mein Sohn Otto und ich auf dem Heimweg von Kai Heimbergs Ausstellungseröffnung im Schaufenster Lobeckstraße neulich (Ihr seid solche Fucker berichtete). Ich hatte vergessen, zu fotografieren, und hier jetzt am Planufer, mein Sohn auf seinem hellblauen Puky-Laufrad vor mir fuhr gut gelaunt in die Nacht. Ein magischer Augenblick, den wollte ich der geifernden Fratze des Vergessens nicht übereignen – ich nahm die Kamera in die Hüfte und drückte kaltblütig ab.

 

Überschrift inspired by: Toni Krahl (* 3. Oktober 1949 in Berlin), dt. Musiker

Überschrift also inspired by: Last-Minute-Geschenke von Amazon © Amazon, 2021

Lyrics: Karlshorst © Sind, 2020

Michel (* 21. Dezember 1975 in Namur), belgischer Politiker und seit 1. Dezember 2019 Präsident des Europäischen Rates

Trevor Charles Horn (* 15. Juli 1949 in Durham), englischer Produzent, Musiker und Komponist, Träger des britischen Ritterordens

Moments in Love © The Art of Noise, 1985

November Rain / Inwazja biedronki.

Aliens incognito (No. 1936, Berlin-Hauptbahnhof) © Kai von Kröcher, 2019

 

And you may ask yourself, where is that large automobile, and you may tell yourself, this is not my beautiful house. +++ Das einzige polnische Wort, das ich aus dem Kopf aufsagen kann. Wenn man mich morgens um sechs an der Bushaltestelle von der Seite anspricht. Der einzige, wie nennt man das, Ausdruck, von ‚Guten Tag‘ vielleicht einmal abgesehen. Von ‚danke‘, ‚Glen Danzig‘ und ‚tschüs‘, ‚Żywiec‘ und ‚Lukas Podolski‘. Das einzige Wort dürfte ‚Biedronka‘ sein, das hört sich ganz lustig nach Schnapsdrossel an. +++ One Way Or Another, das Youtube-Video hatte ich neulich noch auf dem Bildschirm. Als von hinten mein Sohn herangeschlurft kam, auf Debbie Harry zeigte und verblüfft feststellte: „Mama!“ Das hört sich jetzt an, als sei er ein Baby, aber in diesem Moment sagte er tatsächlich einfach nur „Mama!“ Otto schaut grundsätzlich kein Fernsehen, sieht keine Videos. Ausnahmsweise lasse ich gelegentlich This Here Island von Dekker laufen, das findet er super. Das erste Musikvideo seines Lebens war mal ein Song von Graf Tati & Les Alles, ich weiß nicht mehr welcher, das hatte ihn seinerzeit fasziniert. Nun also Blondie: eine pädagogische Herausforderung, ihm dieses merkwürdige Endsiebziger-Getanze zu erklären – aber er fand es gut. +++ Der dicke Brummer neulich da auf dem Bürgersteig im strömenden Regen, das hatte mich lange Zeit nicht mehr losgelassen: Ist zum Beispiel der Brummer eigentlich der Mann, sozusagen, der Stubenfliege? Oder eine eigene Gattung? Ist das dann Art oder Gattung? Und kann man mit knapp achtundfünfzig noch damit rechnen, dass mittags das Telefon klingelt und man denkt, was ist denn das jetzt für ein Arschloch! Und am anderen Ende der Leitung ist Hansi Flick? Was will man vom Leben und was darf man von ihm noch erwarten? +++ Jedenfalls, Biedronka ist nicht nur eine polnische Supermarkt-Kette. Bekannt geworden übrigens dadurch – ich hoffe, das ist jetzt keine Verleumdung, die Behauptung habe ich nicht noch einmal gegengecheckt. +++ Ich fordere übrigens ein Radioverbot für die Berliner Band Die Ärzte. +++ Wenn ich mich richtig erinnere, war das seinerzeit jedenfalls mal ein mittlerer Skandal: für das Verkaufspersonal bei Biedronka galt damals nämlich die Auflage, während der Arbeit Windeln zu tragen. Aber das gibt es in Deutschland auch, ohne Namen nennen zu wollen. +++ In letzter Zeit jedenfalls versuchen Marienkäfer in Massen immer und immer wieder. Die kommen und wollen ins Fenster, Asyl für mein Schlafzimmer beantragen, der rettende Strohhalm vor dem aufziehenden Herbst des Lebens. Ich musste dabei an, wie hieß die doch gleich – ich will immer Petra Kelly sagen. Petra Kelly war ja eher eine von den Guten, eine mit Charisma, die Lady Di des Bonner Bundestages sozusagen. Aber wie hieß denn die Frau von der AfD, Frauke Petry – die an den Grenzen auf Kinder schießen wollte? Warum jedenfalls hat man keine Skrupel, eine Wespe aus dem Fenster zu werfen, sie hinabzustoßen in den Abgrund des Schicksals – beim Marienkäfer aber schaltet sich sofort das schlechte Gewissen ein? Sogar bei Wikipedia steht ausdrücklich geschrieben, Marienkäfer seien bei der Bevölkerung beliebt wie Thomas Gottschalk. Und so lässt man die putzigen Tiere in der Fensterbank sitzen und schaut ihnen beim Abkratzen zu.

 

Überschrift inspired by: Biedronka – polnische Lebensmittelkette mit Sitz in Kostrzyn, gegründet 1995

Überschrift also inspired by: November Rain © Guns & Roses, 1991

Bildunterschriften inspired by: Pissing In A River © Patti Smith Group, 1976

Lyrics: Once In A Lifetime © Talking Heads, 1980

Blood and Tears © Danzig, 1990

One Way Or Another © Blondie, 1978

This Here Island © Dekker, 2019

Heroin Topmodel © Graf Tati & Les Alles, 2019

Radio brennt © Die Ärzte, 1987

Petra Kelly (* 29. November 1947 in Günzburg; † 1. Oktober (vermutlich) 1992 in Bonn), dt. Politikerin

Diana Princess of Wales (* 1. Juli 1961 als Diana Frances Spencer in Sandringham, Norfolk, England; † 31. August 1997 in Paris), erste Frau von Prince Charles

Frauke Petry (* 1. Juni 1975 in Dresden), ehemalige dt. Politikerin

Thomas Gottschalk (* 18. Mai 1950 in Bamberg), dt. Entertainer

Lena Gercke (* 29. Februar 1988 in Marburg), dt. Topmodell und Ex-Freundin von Sami Khedira

Do you remember / the Kind of September.

Mein Sohn wird größer sein als Picasso: Dieffenbachstraße, Berlin-Kreuzberg © Kai von Kröcher, 2021 (Handyfotografie)

 

 

Is it worth it, a new winter coat and shoes for the wife and a bicycle on the boy’s birthday, it’s just a rumour that was spread around town. +++ Die herzzerreißende Trompete übrigens wird gespielt von Chet Baker, das wusste ich nicht. +++ Häufig gefragt hatte ich mich außerdem: Gibt es eigentlich auch nicht Eltern, die in ihren Kindern die kommende Rita Hayworth erkennen, den künftigen Paule Breitner oder gar Ethan Hawke? Eltern, die einen Tag nach der Geburt realisieren: „Aus dem (oder der) wird ja sowieso nichts…“ +++ Fotografisch heute zur Abwechslung mal wieder private Einblicke, davor wird ja immer gewarnt. Doch Otto feiert heute seinen tatsächlich bereits dritten (!) Geburtstag und überall spricht man längst schon davon, welch famoser Kerl er doch ist – menschlich als auch als Künstler und Philosoph. +++ Und der Papa liegt mit Männergrippe im Bett und leckt seine Wunden. +++ Natürlich bin ich kein Musikwissenschaftler, aber Shipbuilding ist definitiv einer der traurigsten Hunde unter den Songs dieser Welt.

 

Überschrift inspired by: Try to Remember © The Kingston Trio, 1963 (Cover)

Lyrics: Shipbuilding © Elvis Costello and the Attractions, 1983

Otto (* 15. September 2018 in Berlin)

Chet Baker (* 23. Dezember 1929 in Yale, Oklahoma; † 13. Mai 1988 in Amsterdam), US-amerikanischer Jazztrompeter

Rita Hayworth (* 17. Oktober 1918 in New York City; † 14. Mai 1987 ebenda), US-amerikanische Schauspielerin, Tänzerin und Filmproduzentin

Paul Breitner (* 5. September 1951 in Kolbermoor), ehem. dt. Fußballnationalspieler

Ethan Hawke (* 6. November 1970 in Austin, Texas), US-amerikanischer Schauspieler, Schriftsteller, Filmproduzent, Drehbuchautor

Pablo Picasso (* 25. Oktober 1881 in Málaga, Spanien; † 8. April 1973 in Mougins, Frankreich), spanischer Maler

Paris or Maybe Hell / Fahr mit im Kli-Kla-Klawitter-Bus.

Fiktives Vinyl: Haus der Verdammten – Klischee trifft auf Rausch (Elektra) © Kai von Kröcher, 2021

 

Father, I want to kill you. +++ Wie auch Jim Morrisons Vater Jim Morrison Bücher schenkte, schenkt auch Ottos Vater Otto dann und wann mal ein Buch.

 

Überschrift inspired by: Aladdin Sane © David Bowie, 1973

Überschrift also inspired by: Kli-Kla-Klawitter (Fernsehserie für Kinder) © ZDF, D 1974 – ’76

Lyrics: The End © The Doors, 1967

Lewis Brian Hopkin Jones (* 28. Februar 1942 in Cheltenham, Gloucestershire; † 3. Juli 1969 in Hartfield, Sussex), englischer Musiker  

James Douglas Morrison (* 8. Dezember 1943 in Melbourne, Florida; † 3. Juli 1971 in Paris, Frankreich), US-amerikanischer Rocksänger

Rain in May / Otto ist Catweazle.

Untitled I © Kai von Kröcher, 2021

 

Untitled II © Kai von Kröcher, 2021

 

Untitled III © Kai von Kröcher, 2021

 

Untitled IV © Kai von Kröcher, 2021

 

Mutter & Sohn © Kai von Kröcher, 2021

 

Omaha Beach Revisited © Kai von Kröcher, 2021

 

Wenn Gursky Urlaub macht und auf Bildbearbeitung keinen Bock hat © Kai von Kröcher, 2021

 

 

 

In the area we now call the Atlantic Ocean, so great an area of land. +++ Beim Edeka auf Pellworm vorletzte Woche, da spielten sie noch so Hits wie oben genanntes Rain In May. Der erste Song, als ich den Laden betrat: ‚Rain in May?‘, dachte ich so. Von einem gewissen Bernie Paul, wie der Kumpel von André Heller. 1981 dürfte das wohl gewesen sein – fand ich damals okay. +++ Allerdings hieß der ganz anders, aber zumindest das Jahr war korrekt. +++ Zwei Tage Dauerregen: man spürt die Flora da draußen aufatmen, wie ich wünschte zu sagen. +++ Ein Experte gestern Abend im Fernsehen sagte, diesen Regen bräuchten wir hier* jetzt vierzehn Tage, damit das was bringt. +++ Vierzehn Tage Regen, da werden einige wieder auf die Straße rennen und die Regierung stürzen. +++ Dürre in Deutschland = Erfindung der Baerbock. +++ In der Radiowerbung heute beim Frühstück, da spitzten wir beide die Ohren: „Otto ist wieder da“, oder so. +++ Und: „Otto ist Catweazle!“ +++ Catweazle war nicht weniger immerhin als eine meiner absoluten Lieblingsserien im Fernsehen damals als Kind – neben der Partrigde Family, selbstverständlich! +++ Und in dem Waalkes-Remake dann auch noch der Song Magic von der Band Pilot – das treibt einem die sentimentalen Tränen der Gnade der frühen Geburt in die Augen. +++ Urlaub ist ja eher etwas für Spießer – gemeinsam jedoch mit dem Herrn Sohn war das schon eine unvergleichbar schöne Zeit. Das Bild mit dem Fahrradhelm allerdings erinnerte mich dann doch an die jungen G.I.s in der Normandie am D-Day bei der Erstürmung des Atlantikwalls; von denen kehrte ja kaum einer lebend zur Mutter zurück. +++ Könnte auf eine Art also mein Anti-Kriegs-Foto werden: der Robert Capa des Wattenmeers.

 

 

Überschrift inspired by: Rain In May © Max Werner, 1981

Überschrift also inspired by: Catweazle (Kino-Remake mit Otto Waalkes) © Sven Unterwaldt (Regie), D 2021

Bildunterschrift u.a. inspired by: Rhein II (Fotografie auf Acrylglas; 185,4 × 363,5 cm, ) © Andreas Gursky, 1999 (verkauft für € 3.100.00,00)

Lyrics: Atlantis © Donovan, 1968

Catweazle (mit Albert Geoffrey Bayldon, britische Fernsehserie) © London Weekend Television (LWT), GB 1970 – ’71

The Patridge Family (Familienserie mit David Cassidy und Susan Dey) © Screen Gems Television, USA 1970 – ’74

Magic © Pilot, 1974

D-Day Landing, Omaha Beach, Normandy (Gelatin Silver Print; 21,6 x 32,1 cm) © Robert Capa, 1944 (verkauft für $ 43.750,00)

Robert Capa (* 22. Oktober 1913 in Budapest, Österreich-Ungarn; † 25. Mai 1954 in Thái Bình, Vietnam), ungarisch-US-amerikanischer (Kriegs-)Fotograf

James Nachtwey (* 14. März 1948 in Syracuse, New York), US-amerikanischer Fotograf, insbesondere der Kriegsfotografie

* Berlin/Brandenburg

MS Franziska / Postcards from Italy.

Auf Robbenjagd im Wattenmeer: MS Nordfriesland © Kai von Kröcher, 2021 (Oktapolaris, Rohschnitt)

 

1990 gab es einen Sänger, jedes Kind und jeder alte Mann kannte seine Songs. +++ Manche Quellen führen mich bereits als Wegbereiter der oktapolaren Fotografie, das ehrt mich natürlich. +++ Auf der Nordseeinsel dort oben hatte ich ständig irgendwelche längst vergessenen Textfetzen aus Udo-Lindenberg-Songs auf den Lippen – einmal beim Frühstück zitierte ich gedankenverloren und unverhofft von der LP Votan Wahnwitz: „Ich mach‘ einen Zirkus auf.“ Mein Sohn starrte mich fassungslos an: „Duuuuu?!!“ +++ Irgendwie hätte ich immer schwören können, auf der MS Franziska habe neben Paul Dahlke Marianne Hoppe in der Hauptrolle gestanden. Sagt man das so? Von der Hoppe allerdings nicht die geringste Spur. +++ Kubismus muss Luxus sein!

 

Überschrift inspired by: MS Franziska (achtteilige Familienserie über die Rheinschifffahrt) © Südwestfunk/Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft, D 1977

Überschrift also inspired by: Postcards from Italy © Beirut, 2006

Lyrics: Gene Galaxo – 1990 © Udo Lindenberg & das Panikorchester, 1976

Da war so viel los © Udo Lindenberg & das Panikorchester, 1975

Glücklich mit der Bachmann © Graf Tati, 2007

Marianne Stefanie Paula Henni Gertrud Hoppe (* 26. April 1909 in Rostock; † 23. Oktober 2002 in Siegsdorf/Oberbayern), dt. Schauspielerin