Heraus zum 1. Mai Tai / On the Street.

ACAB: Opa erzählt vom Krieg (autofiktionale Erinnerung) © Kai von Kröcher, 1997

 

Ich bin einfach zu klein. Ich komme hier nicht weg.

 

Überschrift inspired by: Mai Tai – Cocktail mit J. Wray & Nephew-Rum, pipapo © Tahiti, ca. 1934 – 1944

Überschrift also inspired by: On the Street © Clara Luzia, 2017 

Bildunterschrift inspired by: Sympathy for the Devil © The Rolling Stones, 1968

Textauszug aus: Hast du uns endlich gefunden (autofiktionale Lebenserinnerung) © Edgar Selge, 2021

Die Ruhe vor dem Sturm / Im Harem des Archimedes.

Fiktives Vinyl: Dirk Cheney – 18 Grade unter Null © Kai von Kröcher, 2012/2022

 

I’m only reading all the numbers on the doors. +++ Mittlerweile gehört man, in diesem Falle natürlich ich. Da gehört man plötzlich zu der Spezies Mensch, die Radio hört. Also im Sinne von alles und nichts, von ist mir egal – über die man früher spöttisch die Nase gerümpft hat. Und so saßen vor vielen Wochen mein Sohn Otto und ich am Nachmittagsstisch, im Hintergrund lief, Sie ahnen es bereits. Plötzlich meinte die Moderatorin, als nächstes käme der beste Song des Jahres oder des Vorjahres, ich weiß es nicht mehr. Angekündigt jedenfalls mit irgendwas so von wegen Nation of Language. ‚Hä?!‘, dachte ich, den Bandnamen nie vorher gehört. ‚Hä, woher will die Nuss denn wissen, dass das jetzt der beste Song des Jahres oder so sein soll?‘ Was man halt immer so denkt. Der Song kratzte sich in die Rille, da stand mein Sohn auf und sagte, was er noch nie zu mir gesagt hat. Er stand auf und sagte: „Oder wollen wir tanzen?“ +++ Und dann haben wir eben getanzt. +++ Da wir mit dieser Badegeschichte in Buckow nicht weiterkommen – vorhin hatte ich kurz darüber sinniert, ob einen das überhaupt in so vorteilhaftem Glanze erscheinen lässt. Dass man als Nachwuchskünstler zur Wassergymnastik geht. +++ Weiß ich grad echt nicht so recht. +++ Hier eine weitere Geschichte mit meinem Sohn – den Kindern gehört eh die Zukunft. +++ Letztens auf dem Weg zum Einkaufen: mein Sohn wollte gern auf dem schmalen Stück Bürgersteig da auf der Kanalseite fahren, da ist es am Planufer für zwei ja schon ordentlich eng. Von vorn näherte sich aus dem Nichts eine Gang of Four, eine vierköpfige Gruppe Spätpubertierender. Schlanke Heranwachsende in schwarzer Lederjacke und Unterhemd. Vom Typ her – und das meine ich als Beschreibung, nicht als Ressentiment. Darf man denn hier gar nichts mehr sagen. Eher so Typen, wie ich sie mir in den Banlieues von Paris denn im verbürgerlichten Teil Kreuzbergs vorstelle. Der eine schleuderte mit seinem Gürtel in der Hand vor sich herum – weniger Hartgesottene als uns hätte das irritiert. Harmlos schlängelten wir uns aneinander vorbei, Otto gab seinem Laufrad unbeeindruckt wieder die Sporen. +++ Die Gang entschwand Richtung Brücke, plötzlich aber drehten zwei von ihnen um. Erhöhten ihre Frequenz, holten uns ein: „Eine Frage!“ Misstrauisch sah ich sie an: „Ja?“ „Wir haben gerade gewettet – ich habe gesagt, Sie sind von dem Jungen der Opa.“ Ich zeigte auf seinen Kumpel: „Und er?“ „Er meint, Sie sind der Vater.“ +++ Zeit für den Fifty-fifty-Joker – hätten Sie es womöglich gewusst?

 

Überschrift inspired by: Orkantief Zeynep (heute) folgt auf Orkantief Ylenia (gestern).

Überschrift also inspired by: Tee im Harem des Archimedes (Le Thé au harem d’Archimède) © Mehdi Charef (Drehbuch, Regie), F 1985

Lyrics: Whatever You Want © Nation of Langue, 2021

Richard Bruce „Dick“ Cheney (* 30. Januar 1941 in Lincoln, Nebraska), US-amerikanischer Verteidungsminister unter George Bush Senior

To Hell With Poverty! © Gang of Four, 1982

One of these Days / I’ve Got Dreams to Remember.

Hotter than July: One of these Days (Oktapolaris, Rohfassung) © Kai von Kröcher, 2021

 

Ich sage zu Montag: „Sie müssen sich einen heißen Sommertag vorstellen, August oder Juli, alles stöhnt unter der Hitze, und zwar einen Sonntag.“ +++ Sie kommen eines Tages also da irgendwo raus aus dem Übungsraum, Tonstudio; nicht nur ein paar neue Demo-Tapes haben Sie aufgenommen, auch etwas bahnbrechend Neues erfunden in dieser Nacht: Musik komplett ohne Gitarre und auch ohne Schlagzeug, ohne menschliche Stimme – alles nur Synthesizer und Drum-Computer, der Gesang vom Vocoder verfremdet, durch den Phaser gejagt. Sie sind sich nicht sicher, irgendwie klingt es ganz gut, interessant. Also arbeiten Sie weiter an dieser Idee. Und dann kommt dieser eine da an, der kennt sich ein bisschen aus mit Musik. Und der sagt: „Hör dir mal die Schallplatte Autobahn an!“ +++ Unwissenheit schützt halt vor Strafe nicht. +++ An einem schneidend heißen Tag Anfang Juli hatten wir uns an dieser Holzüberführung (oben) getroffen. Bastian war gerade aus den Staaten zurück, wie Sie gerne manchmal noch sagen. Sieben Wochen waren geplant, 16 Monate daraus geworden. Corona, Lockdown und Präsident Trump. Ich hatte gefragt, ob er so ’ne Art Kulturschock bekommen hat, als er hier wieder ankam. Und dabei den Schauspieler Peter Simonischek zitiert: In einem Interview irgendwo hatte der Österreicher gesagt, Berlin sei die Abwesenheit jeglichen Charmes, oder so ähnlich. Den spüre ich hier ehrlich gesagt auch nur noch selten. Darüber sprachen wir, als wir die Treppe zum Steg hinaufwandelten. +++ Epischer Traum, letzte Nacht. Schlafforscher reden ja immer davon, Träume seien in echt nur ganz kurz: Minuten, Sekunden, Trilliardenbruchteile. Meiner dauerte von 04:16 bis 06:09 Uhr in der Früh, ohne Quatsch – ziemlich verrücktes Zeug! +++ Über die Holzbrücke (Foto) bin ich schon tausende Male in der U1 oder U3 oben hinweg geschwebt, unter ihr mit dem Auto hindurch. In Zeiten der autogerechten Stadt. Manchmal auch auf dem Ausflugsdampfer vorbeimäandert. Auf dem Steg selbst aber bin ich niemals gewesen, auf den hatte mich erst vor kurzem mein werter Sohn Otto stoßen müssen – toller Ort, lassen Sie Ihren scheiß Müll bitte nicht liegen! +++ Jedenfalls, als wir fertig waren mit Fotografieren, da standen wir noch ein bisschen am Brückengeländer und plauderten. Bastian am Geländer, ich etwa einen Meter vom Geländer weg. Es war da oben kaum etwas los, die Hitze, selten kam einer vorbei. Ahnt man ja schon auf dem Foto. Wir sprachen über Amerika: Ich hatte immer gedacht, Austin in etwa sei von der Größe Peines, nur eben in Texas – dabei hat es fast eine Million. +++ Wir stehen da also und reden, vom Ende des Stegs her kommt langsam ein Radfahrer angerollt – gekleidet in grauen Anzug, Sonnenbrille und Sturzhelm. Kommt straight auf mich zu. Ich denke, gleich hält er an, gleich wird er sagen, „Ey, sag mal, Alter – bist du nicht?!“ Er kommt immer näher, nur noch knapp eine Handbreit. Bremst aber nicht, reißt im letzten Moment seinen Lenker herum, schnauzt mich an, ob ich nicht Platz machen kann. +++ So viel nun zu Peter Simonischek, die Brücke ist vier oder fünf Meter breit. +++ Dafür gibt es in Texas andere Merkwürdigkeiten, den Hand-auf-der-Motorhaube-Wettbewerb beispielsweise. Darüber hat Bastian einen Spielfilm gedreht: One of these Days. Bei den Berliner Filmfestspielen 2020 hatte der schon Premiere. Sollte letztes Jahr schon ins Kino kommen, muss man mal abwarten wegen Corona – nominiert für den Deutschen Filmkunstpreis 2021. +++ Bastian Günther hat heute Geburtstag.

 

Überschrift inspired by: One of these Days (Filmdrama, Musik: The Notwist) © Bastian Günther (Drehbuch, Regie), D 2020

Überschrift also inspired by: I’ve Got Dreams to Remember © Otis Redding, 1968

Bildunterschrift inspired by: Hotter than July © Stevie Wonder, 1980

Textauszug: Irreführung der Behörden (Roman) © Jurek Becker, 1973 VEB Hinstorff Verlag Rostock

Autobahn © Kraftwerk, 1974

Peter Maria Simonischek (* 6. August 1946 in Graz), österreichischer Schauspieler, zuletzt u.a. Toni Erdmann 

Rudi © Herwig Mitteregger, 1983

Meet El Presidente / Interhotel.

Schönste Plätze Europas: das hat doch mit Rock ’n‘ Roll nichts mehr zu tun © Kai von Kröcher, 2020

 

Da wo die Stadt aufhört, zwischen Porta, Kik und Pizza – auf einer Fahne stand dein Name. +++ Hängt Ihnen das Kantinenessen auch so zum Halse raus? +++ Aus der Quarantäne Reichenberg heute wieder ein gutes Video: Interhotel mit ihrem hypnotisierenden Maxi Maniac (anklicken) – ein Chanson, aus dessen Parolen ich das Wort ‚Pissoir‘ herauszuhören beliebe, kann das sein? +++ Interhotel war eine am 1. Januar 1965 gegründete Hotelkette in der DDR: Interhotels waren Hotels der gehobenen Klasse, in denen bevorzugt Gäste aus dem sozialistischen Ausland (SW), den nichtsozialistischen Wirtschaftsgebieten (NSW) und des FDGB der DDR beherbergt wurden. +++ (Wikipedia) +++ Ich finde es – ehrlich gesagt – beschämend, wie respektlos jetzt mit dem Präsidenten Trump umgesprungen wird.

 

Überschrift inspired by: Maxi Maniac © Interhotel, 2020

Überschrift also inspired by: Meet El Presidente © Duran Duran, 1987

Lyrics: Louise © Die Höchste Eisenbahn, 2019

Der doppelte Admiral: Skulptur im Schnittpunkt der Admiral- und der Kohlfurter Straße von der Bildhauerin Ludmilla Seefried-Matejkova, 1985

One More Second / Günter Mittags 52ster Geburtstag.

Die Zeit steht still und es wird Herbst: Kottbusser Tor © Kai von Kröcher, 2020

 

Like when the earth shakes then the silence that follows. +++ „Erstaunlich!“, wie der Grüffelo es ausdrücken würde. +++ Erstaunlich, wie schnell die Menschen einen vergessen haben… +++ „Person, Man, Woman, Camera, TV!“

 

Überschrift inspired by: One More Second © Matt Berninger, 2020

Überschrift also inspired by: Günter Mittag (* 8. Oktober 1926 in Stettin; † 18. März 1994 in Berlin), von 1966 bis zum Herbst 1989 Mitglied des Politbüros des Zentralkommitees der SED

Bildunterschrift also inspired by: Seemann © Rammstein, 1995

Lyrics: Caves © Gregory Alan Isakov, 2018

Der Grüffelo (The Gruffalo, Kinderbuch) © Julia Donaldson/Axel Scheffler, 1998

Wie einst Real Madrid / Wir warten aufs Christkind.

Mittelpunk der Welt: Kreuzigung vor der Baerwaldbrücke © Kai von Kröcher, 2020

 

You’ve just gotta be strong if you’re one of the sixteens. +++ Damals, bei Hillary Clinton, bild‘ ich mir irgendwie ein, da bin ich am Wahlabend abends im Kaffee Burger gewesen, Tamie hatte da einen Auftritt gehabt. Der Taxifahrer zurück hatte noch merkwürdige Thesen ans Holz genagelt, ins eine Ohr rein, durchs andere wieder raus. Als ich am Morgen das Radio anmachte, war Trumpi-Boy Präsident – da musste ich lachen, keine Ahnung, warum.

 

Überschrift inspired by: Wie einst Real Madrid © Sportfreunde Stiller, 2000

Überschrift also inspired by: Wir warten aufs Christkind (Kindersendung) © ARD, D 1960 bis 2005

Bildunterschrift inspired by: Mittelpunkt der Welt © Element of Crime, 2005

Lyrics: The Six Teens © Sweet, 1974

Little Bombardier / Was Sie immer schon über Drago Stepanović.

Des Kaisers neue Kleider: Rewe am Kottbusser Tor © Kai von Kröcher, 2020

 

In a world of fading sadness, an emerald ring, a photograph. +++ Ich meine, mit Trump ist es im Prinzip wie bei Didi & Stulle und Kiss damals: Wir kennen Trump voll, aber der kennt uns eben voll nicht. +++ Aber vier Jahre ertrage ich das nicht noch einmal, da will ich ganz ehrlich sein. +++ Was bei diesem ganzen „Wir-befragen-den-DJ-Kröch-jetzt-mal-nach-seinen-Prognosen-zur-laufenden-US-Wahl“ ein bisschen hinten vom Teller gefallen ist: Gerd Müller feierte irgendwie gestern oder vorgestern gerade seinen 75sten Geburtstag, wobei „feiern“ beim Bomber der Nation mittlerweile leider das falsche Wort ist. +++ Was mir jetzt aber einfiel, das ist ja immerhin nicht ganz unlegendär: Ich habe nämlich, und das könnte 1993 vor dem DFB-Pokalfinale Hertha-Amateure gegen Bayer Leverkusen gewesen sein. Als ich beim Privatradio arbeitete, damals. Im Vorfeld dazu jedenfalls habe ich Gerd Müller einmal interviewt. Gerd Müller, Franz Beckenbauer – und wenn ich mich recht erinnere, hing Steppi Stepanović auch in dem Zimmer mit rum. +++ Das Ding nämlich ist, ich kann mich nur noch äußerst vage erinnern, als hätt‘ ich das alles nur geträumt, Nouvelle Vage. +++ Das muss sich einer mal vorstellen, da interviewt man die größten Fußballer der Bundesrepublik Deutschland, die Helden der Kindheit – und hinterher kann man sich nicht mehr erinnern. +++ Und Sie fragen nach meiner Einschätzung zur US-Wahl 2020, Sie haben vielleicht Humor. +++ Den Raum damals, das muss ja irgendein höher klassiges Berliner Hotel gewesen sein. Den habe ich jedenfalls echt ziemlich klein vor Augen, ein durchschnittliches Wohnzimmer vielleicht. Und Gerd Müller sitzt am entgegengesetzten Ende zur Tür hinten am Tisch und trinkt eine Tasse Filterkaffee, hatte ja eine schwierige Phase hinter sich. +++ Alles, was ich heute noch weiß: einer von beiden, also der Kaiser oder der Bomber. Hat mir erzählt, dass das immer sehr schön ist, zum Pokal nach Berlin, die Atmosphäre und so – muss ein investigatives Interview gewesen sein. +++ Das Bild oben muss ich wohl bei schlechtem Wetter noch mal neu machen – ist ja zum Glück gerade November.

 

Überschrift inspired by: Little Bombardier © David Bowie, 1967

Überschrift also inspired by: Dragoslav Stepanović (* 30. August 1948 in Rekovac), ehem. serbischer Fußballspieler und -trainer, DFB-Pokalsieger 1993 als Trainer mit Bayer 04 Leverkusen

Überschrift also inspired by: Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten (Everything You Always Wanted to Know About Sex * But Were Afraid to Ask) © Woody Allen (Drehbuch, Regie), USA 1972

Lyrics: Reason Or Rhyme (Babylon Berlin Edition) © Bryan Ferry Orchestra, 2017

Didi & Stulle – Einen drin (Comic Band Nr. 1) © Fil, 1998 (Reprodukt)

Gerd Müller (* 3. November 1945 in Nördlingen), ehemaliger deutscher Fußballnationalspieler, Welt- und Europameister

Franz Beckenbauer (* 11. September 1945 in München), ehem. dt. Fußballnationalspieler, Europameister, Weltmeister als Spieler wie auch als Trainer

Marmor, Stein und Eisen bricht / Love Reign o’er Me.

Schillingbrücke, aus dem 140er heraus fotografiert: Was he pushed or was he lead © Kai von Kröcher, 2020

 

Little do they know about the monkeys in my head. +++ Neulich machte ich mit meinem Sohn einen Schlenker. So würde Martenstein seine Kolumne auch anfangen, der Idiot. Den ich sonntags beim Brötchenholen immer treffe (Ihr seid solche Fucker berichtete). Wobei ‚treffen‘ nicht das richtige Wort ist. Das ist ein bisschen wie Didi & Stulle beim Kiss-Konzert damals. Sie erinnern sich: Didi & Stulle stehen beim Open-Air in der Menge, und irgendwann müssen sie geerdet feststellen, dass sie Kiss beide zwar voll kennen, Kiss sie selber aber voll nicht. +++ Jedenfalls war es am Nieseln, ich sagte zu meinem Sohn: „Wenn du magst, können wir hier heute mal durchlaufen.“ Eine beruhigte Wohngegend im Schatten der Urbanstraße. Ohne Sohn würde man diese Welten niemals betreten, aber letztens hatte er einen Aufstand gemacht, weil ich keine Lust auf Ghetto gehabt hatte. Sechzigerjahre vielleicht, ziemlich verwinkelt, düstere Durchgänge zum Gespenstergeheul machen. In einer Sackgasse ein Spielplatz. Weit und breit keine Seele, das Tageslicht kurz davor, vom Grauen ins Blaue zu kippen. +++ Düttmann-Siedlung, wusste ich auch nicht, nie gehört: benannt nach Werner Düttmann, der hat unter anderem die Verkehrskanzel Ku’damm Ecke Joachimsthaler Straße gebaut oder entworfen. Hinter Gardinen RTL2, ein verdammtes Klischee. In einer sogenannten Nestschaukel raste Otto durch Raum und Zeit, die Luft schmeckte nach Herbst. An einem der Fenster jedenfalls mit dem Rücken zum Hof ein blasser junger Mann mit kurzgeschorenen Haaren. Erinnerte mich von hinten spontan an den Jimmy aus Quadrophenia, bloß dass er keinen Parka anhatte, sondern dass er nackt war und sich gerade entspannt einen schrubbte. +++ Drafi Deutscher kam mir spontan in den Sinn, da war doch mal was: Ich nahm mir vor, ihn bei Gelegenheit zu googeln. +++ Eigentlich wollte ich heute nur dieses schöne Bild posten…

 

Überschrift inspired by: Marmor, Stein und Eisen bricht © Drafi Deutscher, 1965

Überschrift also inspired by: Love Reign o’er Me © The Who, 1973

Bildunterschrift inspired by: Zipperface © The Popgroup, 2016

Lyrics: Security Check © Sophie Hunger, 2020

Harald Martenstein (* 9. September 1953 in Mainz), dt. Journalist und Autor, u.a. Tagesspiegel, radioeins etc.

Didi & Stulle – einen drin (graphische Novelle, Band Nr. 1) © Fil/Reprodukt-Verlag, 1998

I Was Made For Lovin‘ You © Kiss, 1979

Düttmann-Siedlung, irgendwo zwischen Urban-, Graefe-, Jahnstraße und Hasenheide

Werner Düttmann (* 6. März 1921 in Berlin; † 26. Januar 1983 ebenda), dt. Architekt, Stadtplaner und Maler

Verkehrskanzel, Berlin-Charlottenburg: kastenförmige, gläserne Kanzel auf einem einzelnen Betonpfeiler in 4,5m Höhe, errichtet 1955 von Bruno Grimmek nach Plänen von Werner Klenke und Werner Düttmann 

Quadrophenia (u.a. mit Sting, Phil Daniels, basierend auf dem gleichnamigen Konzeptalbum von The Who) © Frank Roddam (Regie und Mitarbeit am Drehbuch), GB 1979

Quadrophenia © The Who, 1973

Drafi Deutscher (* 9. Mai 1946 in Berlin; † 9. Juni 2006 in Frankfurt am Main), dt. Sänger, Komponist, Musikproduzent

Bergmann never noticed me / The Days of Pearly Spencer.

Time played a trick on everyone: Bergmann Ecke Nostitz © Kai von Kröcher, 2020

 

It’s just the wasted years so close behind. +++ Das Bild heute ist eine Art Work in Progress: Progressive Art, sozusagen. Gibt mir die ganze Zeit ein Feeling von Swinging London, die Farben vielleicht – aber wieso jetzt auch noch Spencer Tracy? +++ „Und was fotografieren Siiie so – schöne Häuser?“ +++ Wo der Herbst plötzlich – oder lassen Sie mich anders beginnen: Seit gestern geht das neue Video von Ben Hamiltons Projekt My Sun „viral“, wie die Kids heutzutage gern sagen. „Online“ sagten sie gestern. Gefühlt jedenfalls eine Ewigkeit her, das war während des Lockdowns. Unter Einsatz unserer Leben hatten wir beide uns aus der großen Stadt Berlin nach Süden hinausgestohlen – und, uns gegenseitig abfilmend, zwei trocken-heiße Sommertage in einem apokalyptischen, einsamen Waldstück in der Nähe Groß Köris‘ verbracht. In Memoriam, so der Titel – und hier ist das Video: https://youtu.be/qL0Td4EGqpo. Die goldene Krone setzt sich mein herausragender Sohn manchmal jetzt auf, so er da sagt: „… and you will be my queen.“ +++ Liegt die Wahrheit der Überschrift heute nicht irgendwo zwischen Indiana Wants Me und Bloodbuzz Ohio? +++ Und: „Weshalb Spence immer so viel gesoffen hat, habe ich nie verstanden.“ (Katharine Hepburn) +++ Da fällt mir ein – witzigerweise: Ben Hamiltons Band Mitte/Ende der Neunzigerjahre hieß tatsächlicherseits Tracy – ich hatte damals immer an Tracy Chapman…

 

Überschrift inspired by: Bloodbuzz Ohio © The National, 2014

Überschrift also inspired by: The Days of Pearly Spencer © David McWilliams, 1967

Bildunterschrift inspired by: Gift Horse © Kevin Morby, 2020

Lyrics: Sunday Morning © The Velvet Underground, 1966

Spencer Tracy (* 5. April 1900 in Milwaukee, Wisconsin; † 10. Juni 1967 in Beverly Hills, Kalifornien), US-amerikanischer Schauspieler

In Memoriam © Ben Hamilton / My Sun, 2020

„Heroes“ © David Bowie, 1977

Groß Köris, Landkreis Dahme-Spreewald (Brandenburg)

Indiana Wants Me © R. Dean Taylor, 1970

Katharine Hepburn (* 12. Mai 1907 in Hartford, Connecticut; † 29. Juni 2003 in Old Saybrook, Connecticut), US-amerikanische Schauspielerin

Baby Can I Hold You © Tracy Chapman, 1988

Rocks Off / The Boy with the Thorn in his Side.

Neukölln, Weiße Siedlung: Wenn man vom Süden her von der Autobahn reinfährt © Kai von Kröcher, 2020

 

… ‚cause I’m not much cop at punching other people’s dads. +++ Das Bild heute erinnert mich irgendwie die ganze Zeit schon an das Video zu Rocks Off – das ich sehr super finde, auch wenn ich den Song nur manchmal ganz gerne mag: Super-8-Material, geschossen von Robert Frank größtenteils irgendwo in New York 1971, da spränge ich ohne jede weitere Frage direkt auf die Zeitmaschine. +++ Der Junge auf dem Spielplatz am Zickenplatz gestern, und spätestens jetzt ahnen Sie schon, wohin die Reise hier heute gehen wird. +++ Ist das noch Rock ’n‘ Roll, oder ist das bereits schon der Dings – nur so ein Spruch. +++ Der Junge jedenfalls wird so ungefähr um die vier Jahre gewesen sein, er fiel mir das erste Mal auf der Rutsche auf. Optisch ein angenehm anzuschauender Junge, aber er ging mir sofort auf den Zwirn. +++ Das wird echt eine ganz schlimme Geschichte, ich habe gestern Abend nicht einschlafen können. +++ Ich lag also gestern im Bett. Erst war ich direkt eingeschlafen, doch dann hatte Otto mir im Schlaf ein paar Tritte verpasst. Und plötzlich fiel mir der Junge vom Nachmittag wieder ein, und ich dachte, ich würde keine Sekunde in meinem Leben je wieder ruhig schlafen können. +++ Ist die Geschichte wirklich so schrecklich, wie sich das anbahnt? +++ Den Link zu Rocks Off finden Sie übrigens hier, vielleicht wissen Sie ja, was ich meine – sowohl was die Zeitreise angeht, als auch das Bild und den Song. +++ Erinnert mich daran, dass Bruce Springsteens Born to Run angeblich der beste Rocksong der Rockgeschichte sein soll – ich finde, der ist einfach ein Rocksong. +++ Aber zurück zu dem Kind auf dem Spielplatz. Otto war über die Hühnerleiter allein auf die Rutsche gestiegen, oben jedoch verließ ihn etwas der Mut. Ich reichte ihm meine Hände zur Sicherheit hoch, da fand er direkt seine alte Verwegenheit wieder. Allerdings kam in dem Moment dieser Junge von unten die Rutsche herauf Otto entgegen geklettert, was mich gleich ziemlich nervte: Ich schenkte ihm diesen Blick. +++ ‚Welchen Blick‘, werden Sie fragen – diesen Blick halt. +++ Später dann war ich mit Otto am Buddeln, und plötzlich bekam ich hinterrücks Sand an den Kopf geworfen. Ich drehte mich um, und schon wieder dieser Junge stand da und grinste mich an. Ich sagte irgendwas so von wegen, du provozierst gern wohl Leute. Er grinste mich an, sagte: „Was?“ Ich schenkte ihm diesen Blick, das müssen wir jetzt nicht noch einmal durchkauen. Ich dachte, dass er wohl irgendwie so ’n kleiner Teufel ist, ich sagte: „Du kommst wohl nur her, um hier alle zu ärgern?“ Frech grinste er mich an, sagte: „Was?“ So langsam kam ich echt auf die Palme. Ich sagte so was in der Art wie: „Wieso sagst du immerzu ‚was‘, willst du mich hier auf den Arm nehmen?“ Er grinste mich an, zeigte an mir vorbei, sagte: „Meine Eltern sind dahinten.“ Ich verdrehte die Augen, machte eine abwinkende Handbewegung und wandte mich wieder dem herrlichen Otto zu. +++ Ein paar der Kommentare zum Rocks Off-Video sind ja der Meinung, dass es sich bei dem Song um den besten der Band oder gar um den besten der Rockmusik handelt. Ich finde, der Song macht einem unter Umständen ganz gute Laune, mehr aber auch nicht. +++ Als ich am Abend so wach vor mich hin lag, fiel mir plötzlich der Junge wieder ein. Und mein Augenmerk fiel auf etwas Merkwürdiges, was ich auf dem Spielplatz zwar registriert – wo ich eben aber auch nicht weiter darüber nachgedacht hatte: Der Junge hatte an seinem einen Ohr nämlich, fast direkt am Gehörgang. Da hatte er so eine Art Wucherung, zwei auffällige kleine Höcker wie beim Kamel. Und nun zerbrach ich mir meinen Kopf. Ob der Junge vielleicht gehörlos oder so war. Und deshalb die ganze Zeit hier alleine gespielt hatte. Und mich mit Sand bewarf, weil er jemandes Aufmerksamkeit erregen wollte. War das provokantes Gegrinse vielleicht ein unbeholfenes Lächeln? Und vielleicht wollte er mich an seine Eltern verweisen, damit sie die Situation moderierten? +++ Auf einmal kam ich mir erbärmlich und scheiße vor, bin dann aber dennoch irgendwann eingeschlafen. Am späteren Nachmittag heute wollte ich eigentlich noch einmal mit Otto dorthin, den Jungen sehen, vielleicht alles ins Lot rücken. Doch dann kam plötzlich der Wolkenbruch… +++ Den Zickenplatz übrigens werden Sie im Stadtplan nicht finden – ist das nicht auch schon wieder irgendwie unheimlich?

 

Überschrift inspired by: Rocks Off © The Rolling Stones, 1972

Überschrift also inspired by: The Boy with the Thorn in his Side © The Smiths, 1985

Lyrics: Kooks © Davids Bowie, 1971

Future Legend © David Bowie, 1974

Born to Run © Bruce Springsteen, 1975