Moonage Daydream / Ei ohne Salz

Fiktives Vinyl: Ilse Paradies – Ei ohne Salz © Kai von Kröcher, 2006/2022

 

You walk past a cafe but you don’t eat when you’ve lived too long. +++ Kommt ja jetzt echt nicht oft vor, dass ich ins Kino geh‘. Als Spätgebärender schon mal erst recht nicht. Immer noch toll, dieses International – Sozialismus von der erhabenen Seite. Und als im Großen Saal gestern das Licht ausging, da hatte ‚man‘ fast seine Irritation schon vergessen. Dieses Stutzen darüber, dass an der Kinokasse da unten, nicht nur vom Feeling her. Dass da fast in der Mehrzahl Omas und Opas gestanden hatten. +++ Ich will jetzt heute viel in diesen Text hineinpacken, das mal vorweg. Und dabei ist mir das Genre der Filmrezension doch eher, wie sagt man – rutschiges Parkett? +++ Sehr schöne Platte da oben übrigens: Ei ohne Salz von Ilse Paradies. In seiner trockenen Eleganz vergleichbar vielleicht, wenn auch ganz anders: Station to Station, das Album von David Bowie – einem Künstler, über den es heute zu reden gilt. +++ Moonage Daydream, eigentlich kann ich gar nicht viel darüber sagen: Großartiger Film, Sound- und Bildgewitter – dachte ich gestern, halb im Glücksrausch versunken. +++ Der Autor Detlef Kuhlbrodt hatte da mal etwas Kluges gesagt. Das war bei ’ner Lesung, und da war dann noch so ’n anderer Typ gemeinsam mit ihm auf dem Podium, ein irgendwie etwas jüngerer. Der hatte gemeint, er habe David Bowie bis dato gar nicht gekannt. Habe sich aus gegebenem Anlass nun aber durch die Alben gehört – jetzt wisse er, worum es geht. Und Kuhlbrodt meinte, das wisse er eben nicht. Und das fand ich gut. Das wäre dann ja, sagen wir mal, als würde ich mich durch die Platten von Zarah Leander hören oder von Walther von der Vogelweide. Und dann wüsste ich plötzlich, wie das damals alles so war. +++ Nein, nein, mein Freund! +++ Als kleiner Steppke war ich ja ganz zuerst, wenn ich das noch richtig zusammenkriege: David-Cassidy-Fan – und natürlich T. Rex! Bis mein großer Bruder sich ’73 dann Aladdin Sane selber zu Weihnachten schenkte. Ganz modern über einen Plattenversand damals, analoger Online-Handel sozusagen: Oft waren die Cover am Rand dann etwas eingedrückt, das war immer sehr ärgerlich – aber so fing das an mit David Bowie und mir. +++ Time zum Beispiel werde ich auf meiner Beerdigung spielen, aber bitte nicht nachmachen! +++ Eigentlich redet Bowie die meiste Zeit in dem Film, und das ist auch gut so. Ich würde mir ungern zum Beispiel einen Film ansehen mit Kubicki, wo der die ganze Zeit labert. Oder Andrea Nahles. Oder anderthalb Stunden Friedrich Merz, alter Gevatter! +++ Arbeitstitel zu dem Plattencover heute da oben war übrigens immer Golden Years, wegen des BMWs. +++ Zum Beispiel hatte ich immer gehadert – Josef hadert, der alte Witz. +++ Jedenfalls habe ich immer mit mir gehadert, dass ich ja nur wie ein verwöhntes, dickes Kind herumsitzen musste – und alles was wichtig war, das war mir vom großen Bruder portionsweise serviert worden: Bowie, Stones, Lou Reed, Blondie, Ramones, Television, Kubrick, was es da alles so gab. Dass ich nichts von alleine. Und Bowie spricht nämlich auch über seinen älteren Bruder, den Halbbruder Terry, eine tragische Figur. Der jedenfalls habe ihn an viele Sachen herangeführt, die er (Bowie/Anm.d.Red.) sonst nicht kennengelernt hätte: „Wie ältere Brüder das halt tun“, oder so ähnlich, sagt Bowie. +++ Muss man vielleicht gar nicht hadern…

 

Überschrift inspired by: Moonage Daydream (Dokumentation) © Brett Morgen (Drehbuch/Regie), UK/D 2022

Überschrift also inspired by: Ei ohne Salz © Ilse Paradies, 2022

Lyrics: Rock ’n‘ Roll Suicide © David Bowie, 1972

Kino International | Premierenkino der DDR, eröffnet 1963 | Karl-Marx-Allee 33 | Berlin-Mitte

Station to Station © David Bowie, 1976

Morgens leicht, später laut: Singles © Detlef Kuhlbrodt/Suhrkamp Verlag, 2007

Tränen lügen nicht © Michael Holm, 1974 (Soleado-Cover)

Rock Me Baby © David Cassidy, 1972

Metal Guru © T. Rex, 1972

Aladdin Sane © David Bowie, 1973

Time © David Bowie, 1973

Golden Years © David Bowie, 1976

Wilde Maus (mit u.a. Josef Hader) © Josef Hader (Drehbuch/Regie), AT/D 2017

Terence ‚Terry‘ Burns (* 5. November 1937 in Royal Tunbridge Wells/Kent, England; † 16. Januar 1985 in London), Halbbruder von David Bowie

Born to Boogie / Fensterplatz am Meer.

Aliens incognito: Reisende soll man nicht aufhalten (No. 3731) Berlin, Alexanderplatz) © Kai von Kröcher, 2019

 

All I got is a photograph and I realize. +++ So viel und so oft schon daran herumgeschrubbt an den Fotografien dieser Serie da oben. Ich würde sie gerne einmal überlebensgroß in einer Ausstellung sehen. Vielleicht sind sie großartig – wahrscheinlich aber schon völlig zerschunden, und der Inder müsste sich kurz einmal dransetzen. Hat jemand die Nummer von dem?  +++ Besser noch: Email-Adresse – ich telefonier‘ doch so ungern. +++ Diesen Ringo-Starr-Song da oben im Liedtext-Zitat: den musste ich eben nicht einmal hören, und schon war ich über den Daumen gleich wieder zehn Jahre. Wer sich erinnert, war nicht dabei – vom Feeling her direkt wieder tausend Kindheitsgefühle vor Augen! +++ Wussten Sie, dass Ringo Starr nicht nur Schlagzeuger der Beatles war, sondern zum Beispiel auch bei der großartigen T.-Rex-Konzert-Doku Born to Boogie Regie geführt und gleichzeitig den Film produziert hat? +++ Okay, und bevor das nach hinten losgeht – die Sache mit dem Inder war mal so ’ne Art Privat-Joke: Es gab da angeblich in Indien irgendwo jemanden, dem konnte man seine ganzen Fotos schicken – und der hat die dann nach Strich und Faden professionell bearbeitet, wenn man nicht weiterkam.

 

Überschrift inspired by: Born to Boogie (Konzertfilm mit T. Rex, Elton John, Ringo Starr) © The Beatles‘ Apple Films/Ringo Starr (Produktion und Regie), GB 1972

Überschrift also inspired by: Fensterplatz am Meer © Decathlon, 2019

Lyrics: Photograph © Ringo Starr, 1973

Richard Starkey (* 7. Juli 1940 in Liverpool), britischer Musiker, Songschreiber, Schauspieler und Filmregisseur und -produzent

Fatigue de l’été / I can feel the Fear in the Western World.

Der Sommer einst im Südosten: La Dupaquier, Tati © Kai von Kröcher, 2020

 

Is it wrong to understand the fear that dwells inside a man. +++ Neulich am Sonntag im hiesigen Radio – sie spielten die einhundert besten fremdsprachigen Lieder. Bei Platz Numero 81 hatte ich zufällig kurz einmal reingezappt: Mina mit Se telefonando sagte mir gar nichts, klang aber vom Feeling her nach sehr großem Gefühl. Wie Dummköpfe es gerne tun, imitierte ich im Playback den Pathos schmachtender Sänger, vor Gänsehaut schossen mir Tränen ins Auge, Otto spielte mit Duplosteinen zu meinen Füßen. Deutlich konnte ich den eigenen Kopf hinter seiner frühpubertären Stirn arbeiten sehen – sollte es tatsächlich sein, dass ein Bub heutzutage mit noch unter zwei Jahren schon den eigenen Vater infrage stellt? +++ Fremdsprachige Lieder: außer Englisch, natürlich – das wäre sonst Quatsch. +++ Der beste fremdsprachige Song allerdings, meiner Meinung nach, definitiv: Das Video kam gestern per Post. Da reift eine Sängerin heran von internationalem Rang, das prophezeie ich einfach mal. Zeitloser französischer Elektropop einmal mehr also aus der Reichenberger Ecke Ohlauer Straße: Fatigue de l’été – eine Produktion aus den Corona-Studios der Herren und Damen Tati/Dupaquier. +++ So sieht es mal aus. +++ Wieso eigentlich sagen selbst intelligent wirkende Menschen – warum sagen die wie unter Zwang immer „franntzössíesch“, wenn es um irgendetwas aus Fronnkraaisch geht – das macht man doch auch nicht mit Englisch oder mit Polnisch oder mit Afrikanisch oder mit – okay, mit Schwyzerdütsch oder mit Holländisch oder Japanisch vielleicht? +++ Im Schein der untergegangenen Abendsonne gestern war ich noch einmal ans Ufer getreten, sonst ist der Sommer bald wieder vorbei. Jemand rief meinen Namen und bremste sein Fahrrad knapp von hinten in mich hinein: Ob ich bereits wieder umarme? (In Zeiten der Auflagen im Zusammenhang mit Corona/Anm.d.Red.) „Du bist die Erste seit Monaten“, sagte ich, dann schloss ich die Hoffnung der erotischen Club-Literatur vorsichtig in den begrüßenden Arm. +++ Auf der Admiralbrücke in respektvoller Höhe flog später der sagenumwobene Kormoran über mich hinweg, diesmal pinkelte er mir nicht auf den Kopf. Am nordwestlichen Ende der Brücke spielte einer auf seinem Kassettenrekorder T. Rex.

 

Überschrift inspired by: Fatigue de l’été © Graf Tati & Cécile Dupaquier, 2020

Überschrift also inspired by: Fear in the Western World © Ultravox, 1977

Lyrics: Cosmic Dancer © T. Rex, 1971

Mina © Se telefonando, 1966 (orchestrated and conducted by Ennio Morricone)

M (Roman) © Anna Gien/Marlene Stark, Matthes & Seitz Berlin Verlagsgesellschaft, 2019