Zeit ist nicht linear / Speaking with Trees.

Zeit ist nicht linear: Schaubühne am Lehniner Platz © Kai von Kröcher, 2023

 

Dort an der Ecke weint ein kleines Kind, dem seine Träume fortgeflogen sind. +++ Im Anschluss an meinen letzten Post verstarb Denny Laine, was Zufall gewesen sein wird. Zufall nicht in dem Sinne, dass er zufällig gestorben wäre, das weiß ich ja nicht – Zufall, dass er direkt nach meinem Post starb. +++ Das Preisausschreiben von damals würde ich aus diesem Grunde gern wiederholen, diesmal sei uns das Schicksal milde gestimmt! Die Frage, die es heute zu beantworten gilt: Welcher bedeutende zeitgenössische deutsche Politiker besuchte dasselbe Gymnasium wie ich, die Hoffmann-von-Fallersleben-Schule am Sackring 15 nämlich in Braunschweig? Verlost wird ein Menü für 1 Person bei Zum Gemütlichen Conny, ebenfalls in der Löwenstadt – bestehend aus einem halben Hähnchen, Pommes mit Ketchup oder Mayo nach Wahl und einem 0,3 l Wolters Pilsener vom Fass. Der Rechtsweg ist nicht ausgeschlossen, bringt aber nichts. +++ Ausgeschlossen ist sowieso schon mal gar nichts: Neulich, bei weihnachtlich warmem Truthahn und viel Primitivo, verkündete ich vollmundig spontan meinen geordneten Rückzug in die analoge Welt und meinen Ausstieg bei Facebook – Zeit ist nicht linear! +++ Oben übrigens heute mein (vermutlich) letztes Kunstwerk für dieses Jahr – und gleichzeitig eine Premiere! Wenn ich nämlich nicht irre, handelt es sich dabei nicht nur um eine Interpretation der Berliner Schaubühne. Ebenso scheint es die erste Auftragsarbeit meines Lebens: Eine Freundin der Freunde der Schaubühne am Lehniner Platz e.V. war beim Interhotel-Konzert letztens in Kreuzberg an mich herangetreten mit der Bitte, meinen fotografischen Blick doch einmal auf besagte Spielstätte oben am Ku’damm zu richten und ihn persönlich und exklusiv für sie einzufrieren. +++ Und da es in diesem Land zur genetischen Grundausstattung gehört, möchte ich das alte Jahr nicht ausklingen lassen, ohne – doch lesen Sie selbst: Kurz vor Weihnachten spielten sie im Erwachsenenradio ein Lied der US-amerikanischen Sängerin Tori Amos. Eine Künstlerin, mit deren Werk ich mich, aus welchen Gründen auch immer, nie wirklich befasst habe. Speaking with Trees, und als esoterisch empfänglicher Endfünfziger wurde ich bei dem Songtitel überaus hellhörig. Tatsächlich übertraf der Song meine Erwartungen um ein Vielfaches: Selten bis nie hatte ich jemals zuvor ein Stück Musik gehört, das in unter vier Minuten alles vereint, was mich in jeder Faser meiner Seele abgrundtief anekelt. +++ Okay, andererseits steht dieser Tage ein ganzes Jahr vor uns voll neuer Musik, neuer Kunst, neuer Begegnungen, alter Freunde und neuer Freude – checken wir es einfach aus!

 

Überschrift inspired by: Schaubühne am Lehniner Platz | Kurfürstendamm 153 | 10709 Berlin

Überschrift also inspired by: Speaking with Trees © Tori Amos, 2021

Lyrics: Auftakt © HEYM | Deutschmann, Moheit, Stadlober, 2021

Wolfgang Kubicki (* 3. März 1952 in Braunschweig), dt. Politiker, Eintracht-Braunschweig-Fußball-Prolet und Rechtsanwalt

Hoffmann-von-Fallersleben-Schule | Sackring 15 | 38118 Braunschweig

Zum Gemütlichen Conny | Diesterwegstraße 1 | 38114 Braunschweig

Cold Turkey © Plastic Ono Band, 1969

II (Mini-LP) © Interhotel, 2023

Damien / New York Mining Disaster 1941.

 

Fiktives Vinyl: Damien – Auf die Gier folgt die Panik © Kai von Kröcher, 2013/2022

 

You’re all that’s left to hold on to, I’m still waiting. +++ Die Jüngeren unter uns werden sich nicht mehr erinnern, aber heute vor exakt neunundfünfzig Jahren fand etwas statt – und „stattfinden“ ist dabei der denkbar falscheste Ausdruck. Ein halbes Jahr ziemlich genau vor meiner Geburt, und beinahe vom Feeling her fühlt es sich an, als hätte ich die Bilder von damals noch immer in mir. +++ Das Cover (oben) hatten wir irgendwann hier schon einmal, doch drückt es die Stimmung von damals aus wie kein zweites. Unsere Gegend war ja nun eher ein Land, das von der Landwirtschaft lebt: Ackerbau, Automobilbau, das waren die Säulen. Sägewerke zum Beispiel gab es im Umkreis auch, obwohl man „wald“ bei uns nicht einmal groß schrieb. Wenige Kilometer südlich, wenn man hier außerhalb des Bildes scharf links an der Schmiede vorbei in den Engelnstedter Weg einbiegt, da gab es die Reichswerke Hermann Göring, die wurden tatsächlich immer noch so genannt. Im Rücken des Fotografen liegt nächtlich-verlassen der Sportplatz, hier habe ich tausende von Nachmittagsstunden akribisch verkickt. Und wenn man nicht abbiegt, der Straße stattdessen nach links weiter folgt, die Ortschaft nach Westen verlässt – in ungefähr fünf Minuten mit dem Auto ist man in Lengede. +++ Sogar in Berlin gibt es – das muss da in Reinickendorf irgendwo sein, oberhalb vom Kurt-Schumacher-Platz. Da gibt es eine Lengeder Straße, das hatte im Zufall mich einmal erstaunt: Lengede hat ja nun gerade einmal vielleicht 5.000 Einwohner und liegt 250 Kilometer westlich von Reinickendorf im flachesten Niedersachsen. +++ Lengede war Bergbau, früher jedenfalls, obwohl es bei uns keine Berge gab – und heute vor 59 Jahren stürzte der Schacht Mathilde ein. Es gab viele Tote, es gab aber auch eine dramatische Rettungsaktion, die sich über Tage hinzog und weltweit verfolgt worden ist – ein paar wenige Bergleute hatten sich in einer Luftblase vor einflutenden Wassermassen gerettet, die haben darin überlebt. Wurden unterirdisch geortet. Und schließlich gerettet. +++ Verfilmt worden ist Das Wunder von Lengede später mit Heike Makatsch und Nadia Uhl. Heino Ferch – und ich glaube auch Jan Josef Liefers. Katharina Wackernagel und dem mürrisch dreinblickenden Georg-Maria Halmer (?) als mürrischem Grubenchef oder so. Insgesamt super besetzt. Ich erinnere mich, auch die Requisite muss ganz tolle Arbeit geleistet haben – im Film trinken da alle das originale Wolters Pilsener in den originalen Flaschen von damals, man kann die Zeit förmlich schmecken. +++ An genau diesem Tag, als der Schacht Mathilde einstürzte und einen ganzen Landstrich in die Verzweifelung riss. Genau an diesem Tag nämlich, einige tausend Kilometer weiter östlich im fernen Kirgisien (Kirgisistan/Anm.d.Red.) – im finsteren Reich der Finsternis – erblickte mein Kumpel der Russe das Licht der Welt. Auch wenn er diese Zeilen hier wahrscheinlich eher nicht lesen wird, möchte ich ihm auf diesem etwas verschlungenen Wege doch alles Gute wünschen. Weil wir uns so selten nur sehen – und wenn wir uns sehen, weil wir dann immer denken, ach schade, dass wir uns so selten nur sehen. +++ Und Red Hill Mining Town dürfte durchaus mein heimlicher Lieblingssong von U2 sein, das darf man ja heute schon gar nicht mehr sagen…

 

Überschrift inspired by: Auf die Gier folgt die Panik © Damien, 2022

Überschrift also inspired by: New York Mining Disaster 1941 © The Bee Gees, 1967

Lyrics: Red Hill Mining Town © U2, 1987

Das Wunder von Lengede (2-teiliger Fernsehfilm mit u.a. Sylvester Groth, Armin Rohde, Axel Prahl und Martin Brambach als Otto) © Sat.1/Kaspar Heidelbach (Regie), D 2003

Retrospektive / Vom Feeling her more than a Feeling.

Alexanderplatz, zwei Jährchen her © Kai von Kröcher, 2018/2020

 

Ich seh‘ die Welt wie ’n Stummfilm und schreib‘ Untertitel. +++ Gesucht hatte ich nicht, aber dann fielen mir zufällig diese Fotos vom 15. April in die Hände – dem 15. April des Jahres 2018. +++ Wie viele Songs der Beatgruppe Boston könnten Sie spontan jetzt hier aufzählen? +++ Das würde mich echt interessieren. +++ Ich fand das damals übrigens vielleicht etwas kühn, auf einmal Gladbach-Fan zu sein. Vielleicht sogar etwas snobistisch. Das müssen Sie sich so vorstellen: Heute ist das ja keine Kunst mehr, da laufen die Kids bunt durcheinandergewürfelt herum – in den Trikots der unterschiedlichsten Geiervereine. Jedenfalls in Berlin: Hertha, Dortmund, Schalke, Bayern – und neuerdings zum Glück auch Union. Damals, im Braunschweiger Land allerdings, da war das noch etwas ganz anderes, da war das undenkbar. Da gab es bei uns dann nur noch den Sohn der Dorfschlachterei, der war schon ein bisschen älter: Der fuhr mit dem Auto immer nach Hamburg zum HSV – Kaltz, Kargus, Hrubesch und Magath. Ansonsten aber kam man als Fan der Braunschweiger Eintracht zur Welt, und dann war das halt so! +++ Um das hier einmal in den historischen Kontext zu stellen. +++ Das Spezielle an diesem 15. April ist ja überhaupt, da feiert eine junge Frau heute Geburtstag, die kam Anfang der Neunziger von Boston her über die Zwischenstation Barcelona ins Nachwende-Berlin. Paar Jahre später lernte ich sie in der U2 auf dem Weg ins Olympiastadion kennen: Hertha gegen Leverkusen, glaube ich, damals mit Deisler – Basti Fantasti! +++ Das ist nun schon eine Weile her – ich würde sie als eine treue Wegbegleiterin bezeichnen, wenn mir das zusteht. Der Geburtstagsgruß, liebe Karen, geht jetzt hier raus – und dann die anderthalb Kilometer gemächlich am Landwehrkanal entlang Richtung Osten. +++ Alles Gute! +++ Ganz nebenbei hier vielleicht noch ein Gruß an Martin nach Mecklenburg: ein Bildergruß, sozusagen. Der wird das wohl eher kaum mitbekommen. Und dann versteht diesen „Hint“ wieder nur einmal mehr der Gentleman of the Year. +++ Und dann laufen die Leser davon. +++ Dann haben wir den Salat!

 

Überschrift inspired by/Lyrics: Erste Schritte / Retrospektive © Freundeskreis, 1999

Überschrift also inspired by: More Than A Feeling © Boston, 1976

Sebastian Deisler (* 1980 in Lörrach), ehemaliger Fußballspieler

Wege übers Land / Frühling, Sommer, Herbst und Winter.

Otto, Osterspaziergang: Ein Mann geht (s)einen Weg © Kai von Kröcher, 2020

 

Chico war mein main Negro, U16-Kicker. Wir wollten Profis werden: er bei Ajax, ich am Mikro. +++ Eine etwas umständlich erzählte Geschichte vielleicht, doch brennt die mir gerade sehr unter den Nägeln: In meinen E- und D-Jugendjahren – weiter bin ich, glaube ich, gar nicht gekommen. Ralf jedenfalls stand immer im Tor. Der Sepp Maier, das kann man so sagen – der Sepp Maier von Grün-Weiß Vallstedt. Obwohl er ja Gladbach-Fan war, die gleichen Torwarthandschuhe wie Kleff. Nach der Schule jedenfalls haben wir im Dorf immer zusammen irgendwo rumgekickt. +++ Wencke Myhre, das muss ich jetzt ehrlich mal zugeben: die war mir irgendwie immer zu nassforsch, die mochte ich nicht. +++ Würde ich jetzt mein erstes Fotoalbum aus einem der letzten noch unausgepackten Umzugskartons hervorholen und aufschlagen, Ralf wäre bei sämtlichen Geburtstagsfeiern der Vor-Teenagerzeit mit dabei. Und mit dem Niedersächsischen Fußballbund waren wir einmal sogar in den Ferien irgendwo in Tirol in den Bergen, da hab ich noch Fix & Foxi gelesen – fünfundvierzig Jahre ist das jetzt her. +++ Um das für weniger sentimentale Hardboiler hier jetzt ein bisschen abzukürzen: Eher durch Zufall stieß ich bei Facebook gestern auf eine Nachricht, die hatte mir schon vor Wochen einer zugeschickt – die lag da in so einem Ordner, wo man nie reinguckt: „Vorgeschlagene Nachrichten“, war mir vorher nie aufgefallen. Auf dem Profilbild ein Mann in einem Gladbachtrikot. Lässt schön aus der Heimat grüßen, schreibt er. Und ob ich mein Photoshop-Problem in den Griff bekommen habe: Das Programm einfach mal rauswerfen und neu installieren, das würde oft helfen. +++ Ich meine, ich war ja nun echt bei Pontius und Pilatus – und wie die nicht alle hießen. Selbst Carlos Santana, IT-Guru der Lausitzer Straße: Selbst Carlos Santana nämlich himself hatte den Schwanz eingezogen. +++ Ralfs Eltern zum Beispiel, denen gehörte die erste Gastwirtschaft am Platze – wenn schlechtes Wetter war, dann kickten wir nachmittags einfach dort auf dem Großen Saal. Ralfs Geburtstage feierten wir in der Gaststube, sein Vater hatte das Endspiel von ’74 auf Super8. Dazu Spezi, Pommes und Halbe Hähnchen, ein Kinderparadies – fast habe ich noch den Geruch in der Nase. +++ Seitdem haben wir uns vom Feeling her nie wieder gesehen, und ein halbes Jahrhundert später nun kommt er da mit diesem Photoshop-Tipp um die Ecke. Was soll ich Ihnen erzählen: Der Trick hat ohne Quatsch reibungslos funktioniert, alles wieder tiptop! Diese ganzen nervigen Drecksprobleme – schwupps, aus der Welt! +++ Allerherzlichsten Dank, bester Ralf! Habe mich sehr über die Nachricht gefreut! Grüße zurück in die Heimat – und halte schön immer den Kasten sauber!

 

Überschrift inspired by: Wege übers Land (mit u.a. Ursula Karusseit, Armin Mueller-Stahl, Angelica Domröse, Manfred Krug) © Deutscher Fernsehfunk, DDR 1968 

Überschrift also inspired by: Er steht im Tor © Wencke Myhre, 1969

Lyrics: Erste Schritte / Retrospektive © Freundeskreis, 1999

Wolfgang Kleff (* 1946 in Schwerte), Deutscher Meister mit Mönchengladbach 1970, ’71, ’75, ’76 und ’77, DFB-Pokalsieger 1973, UEFA-Pokalsieger 1975 und ’79.

Wencke Myhre (* 1947 als Wenche Synnøve Myhre in Oslo), norwegische Schlagersängerin

Samba pa Ti © Santana, 1970

Deutschland – Niederlande 2:1 | WM-Finale | Olympiastadion, München | 7. Juli 1974