You’re all that’s left to hold on to, I’m still waiting. +++ Die Jüngeren unter uns werden sich nicht mehr erinnern, aber heute vor exakt neunundfünfzig Jahren fand etwas statt – und „stattfinden“ ist dabei der denkbar falscheste Ausdruck. Ein halbes Jahr ziemlich genau vor meiner Geburt, und beinahe vom Feeling her fühlt es sich an, als hätte ich die Bilder von damals noch immer in mir. +++ Das Cover (oben) hatten wir irgendwann hier schon einmal, doch drückt es die Stimmung von damals aus wie kein zweites. Unsere Gegend war ja nun eher ein Land, das von der Landwirtschaft lebt: Ackerbau, Automobilbau, das waren die Säulen. Sägewerke zum Beispiel gab es im Umkreis auch, obwohl man „wald“ bei uns nicht einmal groß schrieb. Wenige Kilometer südlich, wenn man hier außerhalb des Bildes scharf links an der Schmiede vorbei in den Engelnstedter Weg einbiegt, da gab es die Reichswerke Hermann Göring, die wurden tatsächlich immer noch so genannt. Im Rücken des Fotografen liegt nächtlich-verlassen der Sportplatz, hier habe ich tausende von Nachmittagsstunden akribisch verkickt. Und wenn man nicht abbiegt, der Straße stattdessen nach links weiter folgt, die Ortschaft nach Westen verlässt – in ungefähr fünf Minuten mit dem Auto ist man in Lengede. +++ Sogar in Berlin gibt es – das muss da in Reinickendorf irgendwo sein, oberhalb vom Kurt-Schumacher-Platz. Da gibt es eine Lengeder Straße, das hatte im Zufall mich einmal erstaunt: Lengede hat ja nun gerade einmal vielleicht 5.000 Einwohner und liegt 250 Kilometer westlich von Reinickendorf im flachesten Niedersachsen. +++ Lengede war Bergbau, früher jedenfalls, obwohl es bei uns keine Berge gab – und heute vor 59 Jahren stürzte der Schacht Mathilde ein. Es gab viele Tote, es gab aber auch eine dramatische Rettungsaktion, die sich über Tage hinzog und weltweit verfolgt worden ist – ein paar wenige Bergleute hatten sich in einer Luftblase vor einflutenden Wassermassen gerettet, die haben darin überlebt. Wurden unterirdisch geortet. Und schließlich gerettet. +++ Verfilmt worden ist Das Wunder von Lengede später mit Heike Makatsch und Nadia Uhl. Heino Ferch – und ich glaube auch Jan Josef Liefers. Katharina Wackernagel und dem mürrisch dreinblickenden Georg-Maria Halmer (?) als mürrischem Grubenchef oder so. Insgesamt super besetzt. Ich erinnere mich, auch die Requisite muss ganz tolle Arbeit geleistet haben – im Film trinken da alle das originale Wolters Pilsener in den originalen Flaschen von damals, man kann die Zeit förmlich schmecken. +++ An genau diesem Tag, als der Schacht Mathilde einstürzte und einen ganzen Landstrich in die Verzweifelung riss. Genau an diesem Tag nämlich, einige tausend Kilometer weiter östlich im fernen Kirgisien (Kirgisistan/Anm.d.Red.) – im finsteren Reich der Finsternis – erblickte mein Kumpel der Russe das Licht der Welt. Auch wenn er diese Zeilen hier wahrscheinlich eher nicht lesen wird, möchte ich ihm auf diesem etwas verschlungenen Wege doch alles Gute wünschen. Weil wir uns so selten nur sehen – und wenn wir uns sehen, weil wir dann immer denken, ach schade, dass wir uns so selten nur sehen. +++ Und Red Hill Mining Town dürfte durchaus mein heimlicher Lieblingssong von U2 sein, das darf man ja heute schon gar nicht mehr sagen…
Überschrift inspired by: Auf die Gier folgt die Panik © Damien, 2022
Überschrift also inspired by: New York Mining Disaster 1941 © The Bee Gees, 1967
Lyrics: Red Hill Mining Town © U2, 1987
Das Wunder von Lengede (2-teiliger Fernsehfilm mit u.a. Sylvester Groth, Armin Rohde, Axel Prahl und Martin Brambach als Otto) © Sat.1/Kaspar Heidelbach (Regie), D 2003