Das große Buch der Kinderfragen / Es gibt nun doch nicht nur ein‘ Rudi Völler.

Fiktive Postkarten: Frohe Ostern (Berlin, Landwehrkanal) © Kai von Kröcher, 2024

 

What’s he like, Mavis? – He’s a real tasty geezer. +++ Okay, ich fange mal an mit der ersten Geschichte, die zweite ist aber um Längen besser. +++ Gestern Abend fuhr ich in der U-Bahn nach Hause, ein Stück weiter hinten eine Gruppe recht lauter Ärräbs. Ich weiß, so was sagt man nicht – aber ich hatte schon den Eindruck, sie fühlten sich wohl in ihrer Rolle als laute Ärräbs. +++ Ist ja auch völlig wurscht, vielleicht war eh alles ganz anders. +++ Das Foto habe ich gestern Nachmittag gemacht, aber da sitze ich natürlich noch nicht oben drin in der U-Bahn, weil, die Geschichte spielt ja erst abends, und ich bin auch nicht Hans-Dietrich Genscher. +++ Jedenfalls, Gleisdreieck wollte ich umsteigen, und weil die eine Tür kaputt war, ging ich in Richtung der Ärräbs zur anderen Tür. Da plötzlich hörte ich einen der Ärräbs rufen: „He, Entschuldigung – Rudi Völler! … Hallo, … Rudi Völler!“ Innerlich war ich verdutzt, auch amüsiert – ließ mir aber nichts anmerken: Es gab mal ein Foto von meinem Bruder und mir, wo wir in einem Cabrio fahren. Er sieht da aus wie Jürgen Klinsmann, ich sehe wie Rudi Völler aus. Das fand ich schon seltsam, die zwei sind 1990 ja gemeinsam Weltmeister geworden – und jetzt zusammen im Cabrio auf der Landstraße nach Üfingen. +++ Okay, die Geschichte ist nur halbwitzig und hat einen merkwürdigen Beigeschmack. +++ Wie versprochen ist die zweite Geschichte dafür jetzt der Knaller. Genau genommen ist sie die erste. Außerdem hat sie mit Kindern und Ostern zu tun. Und mit Sexhaben, das kommt eh immer ganz gut. +++ Karfreitag gingen mein fünfjähriger Sohn und ich an der Melanchthon-Kirche vorbei, als gerade die Glocken anfingen zu läuten. Ich meinte, die schlügen wahrscheinlich zum Karfreitagsgebet. Halblaut sinnierte ich, ob Karfreitag eigentlich Christus von den Toten auferstanden sei, Otto aber meinte, das wäre Ostern gewesen. Ich sei da nicht ganz bibelfest, räumte ich ein. Und dass ich da eh nicht mitreden könne, weil ich ja nicht dabei war. „Da war ich noch im Bauch meiner Mutter“, meinte ich sprichwörtlich. An diesem Punkt nahm die Geschichte eine verlegene Wendung: „Wie kommen die Babys eigentlich in den Bauch?“ – nachdenklich blieb mein Sohn stehen und drehte sich zu mir um. Teile der Antwort würden die Bevölkerung verunsichern, dachte ich so: „Ich habe auch keine Ahnung.“ „Hm“, meinte er, „eigentlich wäre das eine Frage für unser Buch (Das große Buch der Kinderfragen/Anm.d.Red.).“ Kurze Pause, dann stellte er fest: „Weisst du, warum das da nicht drin steht? Die wissen das selber nicht!“

 

Überschrift inspired by: Das große Buch der Kinderfragen – Kluge Antworten in Vorlesegeschichten © Petra Maria Schmitt/Christian Dreller/Heike Vogel, 2020

Überschrift also inspired by: Ein Rudi Völler © Klaus & Klaus, 2002

Lyrics: Johnny Reggae © The Piglets, 1971

Paris au Printemps © Public Image Ltd, 1980

Hans-Dietrich Genscher (* 21. März 1927 in Reideburg; † 31. März 2016 in Pech, Gemeinde Wachtberg), dt. Politiker

The Secret Life of Arabia © David Bowie, 1977

Rudi Völler (* 13. April 1960 in Hanau), dt. Fußballspieler, Fußballtrainer und Fußballfunktionär

Thomas de Maizière (* 21. Januar 1954 in Bonn), dt. Politiker, u.a. Bundesminister des Inneren

 

Fies on Earth (pa-rum-pum-pum-pum) / die Vergeltung klingelt in Gestalt eines Amazon-Zustellers.

Melanchthongemeinde: Der evangelische Pastor, der in den Tannenbaum stieg und verschwand © Kai von Kröcher, 2019

 

Ooh wa ooh wa ooh wa ooh wa ooh. +++ »Oder, anders gefragt: Hat Ihr Großvater Feinde?« Die fiktive Vernehmung meines hervorragenden Sohns Otto durch den erdachten Ermittler einer eingebildeten Sonderkommission ›Günter Grass‹ am diesjährigen Heiligen Abend geriet unmissverständlich ins Stocken: »Wenn wir hier von meinem Va…ter reden – natürlich hat er überall Feinde, ich verstehe die Frage nicht. Suchen Sie in den Lagern der bürgerlichen Parteien und derer am äußeren rechten Rand. Dringen Sie ein in das Dickicht der Lobbyistenverbände, gehen Sie in den Schrebergarten der Höckes. Stellen Sie unserem Scheuer-Andi entlarvende Fragen, trinken Sie Wein mit der pfälzischen Weinkönigin, fahren Sie nach Gelsenkirchen und bohren Sie nach im Fall Tönnies!« +++ Was war am Heiligen Abend geschehen? +++ Okay. +++ Am Heiligen Abend hatte ich gegen Mittag mit Otto und Kinderwagen das Haus über die Hintertüre verlassen und schnell noch zum Einkauf am Kottbusser Tor hinauf- oder hinunterschieben wollen. Einkaufen am Heiligen Abend ist ein unübertroffen entspanntes Erlebnis – als Hiergebliebener darf man seinen Makel als Zugezogener über die Weihnachtstage beinahe. Hm. Um die Geschichte hier jedenfalls abzukürzen: Irgendjemand hatte uns anonym ein Päckchen geschickt – von Amazon als Geschenk eingepackt, ohne Absender. Nachmittags gingen wir in das Krippenspiel der Melanchthongemeinde am Planufer, eine schöne Kirche der Nachkriegsjahre (Foto). +++ Bleiben Sie eingeschaltet, die Geschichte nimmt nach und nach Fahrt auf! +++ Ottos Mama jedenfalls hatte festlich gekocht, danach war Bescherung. Erwachsene bekommen bei solcher Gelegenheit gern feuchte Augen, Kinder himself sind da zielorientierter. Diese Art der Geschenkeverschickung durch den Internetanbieter Amazon übrigens hatte ich bis dahin nicht gekannt, diesmal allerdings waren für Otto in dieser Form gleich zwei optisch identische Päckchen gekommen: Eines von meinem ältesten Freund, von dem war ein Gruß drin. Im zweiten Paket eine Blechtrommel, anonym, dazu nur der diabolische Satz: »Enjoy your Gift!« +++ Ich weiß: man nennt das Situationskomik, das lässt sich nicht witzig nacherzählen. +++ Wer auch immer uns das aber angetan hat, man muss doch dazusagen: Otto hat mit Hingabe begeistert auf dieser Trommel gespielt, bis wir sie ihm nach drei Minuten entgeistert entrissen… +++ Fürs neue Jahr verspreche ich Ihnen keine trübsinnigen Herbstfotos mehr – und eine Verrohung der Sprache.

 

Überschrift inspired by: Peace on Earth/Little Drummer Boy © David Bowie & Bing Crosby, 1977

Überschrift also inspired by: Die Vergeltung (Ballade) © Annette von Droste-Hülshoff, ca. 1840

Lyrics: Who Are You © The Who, 1978

Melanchthonkirche (erbaut 1954/55), Planufer 83 | 10967 Berlin