Avenue Louise Bordes / Ein Sommer mit Nicole.

All along Müggelschlösschenweg: Graf Tati & Cécile Dupaquier © Kai von Kröcher, 2020

Ce sont les mots qui s’installent sur le blanc d’une carte postale, des mots qui sont jetés. +++ Als wir neulich im weißen R4 saßen, ziellos in Richtung Südosten. Ich sagte: „Wisst ihr, was ich heute Mittag gedacht habe?“ Eine eher rhetorische Frage, woher hätten sie das schließlich auch wissen sollen – oder hätten Sie es etwa gewusst? +++ Okay. +++ Ein paar Tage vorher hatte ich Tati schon einmal so eine komische Frage gestellt: Ob er sich an Ein Sommer mit Nicole erinnere. Das war irgendwann mal eine Fernsehserie mit dem Berliner Schauspieler Klaus Dahlen gewesen – keine Ahnung, wie ich drauf kam. +++ Und jetzt halten Sie sich aber besser mal fest: Gerade nämlich wollte ich fabulieren, dass zu der Zeit – also als jene Serie im Fernsehen lief, dass da der Name „Nicole“ hier in Deutschland noch gar nicht so verbreitet war. Und dass es demnach dann bestimmt um eine Sommerliebelei zwischen dem auffallend dicken Klaus Dahlen und einer charmanten Französin gegangen sein wird. Jetzt habe ich Klaus Dahlen allerdings mal gegoogelt. Und was ich nicht wusste, der ist ja seit einigen Jahren schon tot. Ich hatte ihn letztens tatsächlich noch als Statist (!) in Ein Mann will nach oben auf DVD gesehen. Und hatte mich eher gewundert: ich glaube, er hatte da nicht einmal Text. +++ War natürlich eh super besetzt, vielleicht eine Art Cameo-Auftritt? +++ Der Typ da in dem Stones-Video im letzten Post – spontan dachte ich so: der Mick Jagger unter den Scheibenputzern. +++ Jedenfalls habe ich Klaus Dahlen gegoogelt, eine Serie namens Ein Sommer mit Nicole gibt es anscheinend gar nicht, zumindest nicht mit Klaus Dahlen. +++ Naja. +++ Cécile und Tati hatte ich neulich mal vorgeschlagen, ein paar Fotos draußen zu machen. Ich will mich ein bisschen neu erfinden, das ist ja nun hoffentlich nicht verboten. Am Mittag bevor wir in den Südosten runterfuhren, da hatte ich mir fasziniert ihre neueste Lockdown-Produktion angehört, Carte postale nämlich (hier klicken). Klingt wie ein toller französischer Urlaubssong aus der Zeit, als meine Generation gerade die ersten Sommer allein in den Süden fuhr. +++ Ich hörte also Carte postale, und ich dachte so vor mich hin: Wenn ich jetzt irgendeinem erzähle, ich fahre mit den beiden heute in den Südosten und mache Fotos – der wird dann doch sagen: du spinnst!
Überschrift inspired by: Exile On Main St © The Rolling Stones, 1972
Überschrift also inspired by: Ein Sommer mit Nicole (13 tlg. dt. Familienserie mit Monica Ambs, Barbara Schöne, Klaus Dahlen) © Thomas Engel (Regie)/ZDF, D 1969
Bildunterschrift inspired by: All Along the Watchtower © Jimi Hendrix, 1968 (Cover)
Lyrics: Carte postale © Graf Tati & Cécile Dupaquier, 2020
Klaus Dahlen (* 23. Mai 1938 in Berlin; † 16. Mai 2006 in Baden-Baden), dt. Schauspieler
Ein Mann will nach oben (13 tlg. dt. Fernsehserie nach dem Roman von Hans Fallada – mit Mathieu Carrière, Ursula Monn, Rainer Hunold) © Herbert Ballmann (Regie)/ZDF, D 1978

Rocks Off / The Boy with the Thorn in his Side.

Neukölln, Weiße Siedlung: Wenn man vom Süden her von der Autobahn reinfährt © Kai von Kröcher, 2020

 

… ‚cause I’m not much cop at punching other people’s dads. +++ Das Bild heute erinnert mich irgendwie die ganze Zeit schon an das Video zu Rocks Off – das ich sehr super finde, auch wenn ich den Song nur manchmal ganz gerne mag: Super-8-Material, geschossen von Robert Frank größtenteils irgendwo in New York 1971, da spränge ich ohne jede weitere Frage direkt auf die Zeitmaschine. +++ Der Junge auf dem Spielplatz am Zickenplatz gestern, und spätestens jetzt ahnen Sie schon, wohin die Reise hier heute gehen wird. +++ Ist das noch Rock ’n‘ Roll, oder ist das bereits schon der Dings – nur so ein Spruch. +++ Der Junge jedenfalls wird so ungefähr um die vier Jahre gewesen sein, er fiel mir das erste Mal auf der Rutsche auf. Optisch ein angenehm anzuschauender Junge, aber er ging mir sofort auf den Zwirn. +++ Das wird echt eine ganz schlimme Geschichte, ich habe gestern Abend nicht einschlafen können. +++ Ich lag also gestern im Bett. Erst war ich direkt eingeschlafen, doch dann hatte Otto mir im Schlaf ein paar Tritte verpasst. Und plötzlich fiel mir der Junge vom Nachmittag wieder ein, und ich dachte, ich würde keine Sekunde in meinem Leben je wieder ruhig schlafen können. +++ Ist die Geschichte wirklich so schrecklich, wie sich das anbahnt? +++ Den Link zu Rocks Off finden Sie übrigens hier, vielleicht wissen Sie ja, was ich meine – sowohl was die Zeitreise angeht, als auch das Bild und den Song. +++ Erinnert mich daran, dass Bruce Springsteens Born to Run angeblich der beste Rocksong der Rockgeschichte sein soll – ich finde, der ist einfach ein Rocksong. +++ Aber zurück zu dem Kind auf dem Spielplatz. Otto war über die Hühnerleiter allein auf die Rutsche gestiegen, oben jedoch verließ ihn etwas der Mut. Ich reichte ihm meine Hände zur Sicherheit hoch, da fand er direkt seine alte Verwegenheit wieder. Allerdings kam in dem Moment dieser Junge von unten die Rutsche herauf Otto entgegen geklettert, was mich gleich ziemlich nervte: Ich schenkte ihm diesen Blick. +++ ‚Welchen Blick‘, werden Sie fragen – diesen Blick halt. +++ Später dann war ich mit Otto am Buddeln, und plötzlich bekam ich hinterrücks Sand an den Kopf geworfen. Ich drehte mich um, und schon wieder dieser Junge stand da und grinste mich an. Ich sagte irgendwas so von wegen, du provozierst gern wohl Leute. Er grinste mich an, sagte: „Was?“ Ich schenkte ihm diesen Blick, das müssen wir jetzt nicht noch einmal durchkauen. Ich dachte, dass er wohl irgendwie so ’n kleiner Teufel ist, ich sagte: „Du kommst wohl nur her, um hier alle zu ärgern?“ Frech grinste er mich an, sagte: „Was?“ So langsam kam ich echt auf die Palme. Ich sagte so was in der Art wie: „Wieso sagst du immerzu ‚was‘, willst du mich hier auf den Arm nehmen?“ Er grinste mich an, zeigte an mir vorbei, sagte: „Meine Eltern sind dahinten.“ Ich verdrehte die Augen, machte eine abwinkende Handbewegung und wandte mich wieder dem herrlichen Otto zu. +++ Ein paar der Kommentare zum Rocks Off-Video sind ja der Meinung, dass es sich bei dem Song um den besten der Band oder gar um den besten der Rockmusik handelt. Ich finde, der Song macht einem unter Umständen ganz gute Laune, mehr aber auch nicht. +++ Als ich am Abend so wach vor mich hin lag, fiel mir plötzlich der Junge wieder ein. Und mein Augenmerk fiel auf etwas Merkwürdiges, was ich auf dem Spielplatz zwar registriert – wo ich eben aber auch nicht weiter darüber nachgedacht hatte: Der Junge hatte an seinem einen Ohr nämlich, fast direkt am Gehörgang. Da hatte er so eine Art Wucherung, zwei auffällige kleine Höcker wie beim Kamel. Und nun zerbrach ich mir meinen Kopf. Ob der Junge vielleicht gehörlos oder so war. Und deshalb die ganze Zeit hier alleine gespielt hatte. Und mich mit Sand bewarf, weil er jemandes Aufmerksamkeit erregen wollte. War das provokantes Gegrinse vielleicht ein unbeholfenes Lächeln? Und vielleicht wollte er mich an seine Eltern verweisen, damit sie die Situation moderierten? +++ Auf einmal kam ich mir erbärmlich und scheiße vor, bin dann aber dennoch irgendwann eingeschlafen. Am späteren Nachmittag heute wollte ich eigentlich noch einmal mit Otto dorthin, den Jungen sehen, vielleicht alles ins Lot rücken. Doch dann kam plötzlich der Wolkenbruch… +++ Den Zickenplatz übrigens werden Sie im Stadtplan nicht finden – ist das nicht auch schon wieder irgendwie unheimlich?

 

Überschrift inspired by: Rocks Off © The Rolling Stones, 1972

Überschrift also inspired by: The Boy with the Thorn in his Side © The Smiths, 1985

Lyrics: Kooks © Davids Bowie, 1971

Future Legend © David Bowie, 1974

Born to Run © Bruce Springsteen, 1975