Andrea Sawatzki / and the Wiremen.

AND THE WIREMEN (MARIE-ANTOINETTE, BERLIN) © KAI VON KRÖCHER, 2018

Merkst du denn, wie weit der Horizont sich neigt / das leise Zittern, wenn das Schiff ganz langsam in die Höhe steigt / wie eine alte Frau, die sich mit Mühe aus dem Sessel hebt. +++ Das lustigste an der Geschichte mit Dellwo, das hatte ich ganz vergessen. Ich hatte gestern nicht mehr gewusst, wohin mit all diesen Infos. Die Massen an Text immerzu, das ganze Geschwafel – die Menschen wollen Fakten, Sex und schnelles WLAN, sie sehnen sich förmlich danach. +++ Im übrigen bin ich mir sicher, die Empörung wäre wesentlich größer, stünde in fünf Jahren nicht der Klimakollaps vor der Tür, sondern in fünf Jahren gäbe es noch immer kein flächendeckendes – wie heißt das Internet der Zukunft? K5, oder so? +++ Keine Ahnung: Weltuntergang jedenfalls egal, Hauptsache Breitbandkabelanschluss für alle und überall! +++ Aber lustig an der Sache mit Dellwo nämlich war: Als ich endlich kapiert hatte, nicht der Schauspieler Schüttauf käme zum Filmabend als Podiumsgast, sondern der Dellwo, das ehemalige Mitglied der RAF – als menschenscheuer Fotograf kriegte ich da gleich wieder kalte Füße: Wenn der Terrorist ist, dachte ich so, wahrscheinlich schnauzt der mich sofort an, wenn ich ihn fotografiere. +++ Stattdessen war er dann dann umwerfend sympathisch – wenn ich da im Vergleich an die Nasse-Meyfarth denke… +++ Okay. +++ Jedenfalls spielten am Montag die Wiremen in Berlin. Eigentlich And the Wiremen, aber ich sage immer „die Wiremen“. So richtig warm geworden war ich mit denen bisher nicht, irgendwie spürte ich da immer so eine Art intellektuelle Kälte. Zwischen den Strophen meinte ich immer heraushören zu können, ich sei sowieso nicht gebildet genug, ihre Musik zu verstehen. +++ Naja, ich kam gerade vom Fotografieren, das Bild Schwere See gestern zum Beispiel. Draußen war es sowieso ziemlich kalt, drinnen konnte es nicht noch wesentlich kälter sein. Die Wiremen waren einzig für diesen einen Abend aus New York nach Europa gekommen, spielten anfangs komplett Songs ihres kommenden Albums. Die Überraschung: Die neuen Sachen gefielen mir, da war plötzlich nichts mehr von der künstlerischen Überheblichkeit. Ich bin ja kein Musikkritiker: Selbst Thomas Stern, der am Mischpult gestanden hatte, meinte draußen bei einer After-Show-Zigarette, er könne sich den Unterschied zu den früheren Songs bisher auch nicht erklären.

Überschrift inspired by: Andrea Sawatzki (*1963 in Kochel am See), dt. Schauspielerin

Überschrift also inspired by: Night Cracks Harbour © And the Wiremen, 2019

Lyrics: Schwere See © Element of Crime, 1993

Une jeunesse allemande / Freitags ab eins macht Holger seins.

DIE SIEBEN KRISTALLKUGELN © KAI VON KRÖCHER, 2018

KROKODIL, VORFÜHRRAUM © KAI VON KRÖCHER, 2018

DAS HÄSSLICHSTE AUTO DER WELT © KAI VON KRÖCHER, 2018

FOYER, KROKODIL © KAI VON KRÖCHER, 2018

KARL-HEINZ DELLWO © KAI VON KRÖCHER, 2018

ULRIKE MEINHOF © KAI VON KRÖCHER, 2018

DELLWO © KAI VON KRÖCHER, 2018

IM SAAL GEHEN DIE LICHTER AN © KAI VON KRÖCHER, 2018

FACHGESPRÄCHE I © KAI VON KRÖCHER, 2018

FACHGESPRÄCHE II © KAI VON KRÖCHER, 2018

LUCIE, DER SCHRECKEN DER STRAßE © KAI VON KRÖCHER, 2018

WODKA © KAI VON KRÖCHER, 2018

LUCIE HOLLMANN (SCHAUSPIELERIN), OLA STASZEL (NEIßE FILMFESTIVAL) © KAI VON KRÖCHER, 2018

SCHÖNHAUSER ALLEE I © KAI VON KRÖCHER, 2018

SCHÖNHAUSER ALLEE II © KAI VON KRÖCHER, 2018

 

AM SOGENANNTEN RECHNER © KAI VON KRÖCHER, 2018

Sous mes doights t’emmènera vers de lointains au-delà. +++ Sie werden sich jetzt vielleicht wundern, aber Ulrike Meyfarth bin ich nur ein einziges Mal in meinem Leben begegnet. Sie war einen Kopf größer als ich, es war im Rahmen der Bewerbung als Austragungsort der olympischen Spiele 2000 – am Rande einer Fernsehsendung von Erich Böhme, Herbst ’93 im Hilton-Hotel an der Mohrenstraße. +++ Ich mag ein populistischer Dissident sein, aber um Gottes Willen nicht pubertär. +++ Mohrenstraße bleibt! +++ Morgen, am Dienstagabend, spielen die New Yorker And the Wiremen im Marie-Antoinette (und nicht im Regenbogen, wie fälschlicherweise von mir behauptet): Los geht’s, wenn der Schiri pfeift – vermutlich um acht. +++ Jedenfalls saß ich da so als Zuschauer in der Sendung von Erich Böhme, und für meinen Radiosender sollte ich ein paar Prominente befragen zur Olympiabewerbung Berlins. Wie die Sendung hieß, weiß ich nicht mehr, aber vom Sendeplatz her und den Quoten in etwa vergleichbar mit Anne Will. +++ Worauf will ich hinaus? +++ Im Kino Krokodil auf der Greifenhagener Straße Freitagnacht jedenfalls war es schön gewesen: Erst hatten sie Das hässlichste Auto der Welt gezeigt, eine anrührende Geschichte, wie eine 94jährige gemeinsam mit ihrem Sohn das Zwangsarbeitslager sucht, in das sie im Zweiten Weltkrieg nach Deutschland verschleppt worden war. Später die RAF-Dokumention Une jeunesse allemande, dazu sprach Karl-Heinz Dellwo im Anschluss ein paar kluge Worte. Leider kann ich nicht zuhören, während ich fotografiere, das ist ja bekannt. Ein sehr sympathischer Mensch jedenfalls. Hier im Blog vorher hatte ich ihn auf sein Vorleben als Terrorist reduziert, das ist halt sehr plakativ – seit seiner Haftentlassung macht er Filme, doch davon mal wieder kein Wort. +++ Kurz vor der Fernsehsendung mit Erich Böhme hatte ich dreihundert Kilometer entfernt, „drüben in Westdeutschland“. Jedenfalls hatte ich eine Frau kennengelernt, die sollte tatsächlich meine langjährigste Beziehung werden. Doch jetzt war sie zum ersten Mal zu Besuch in Berlin. Ich nahm sie mit in die Sendung, und während die halbe Nation zu Haus vor den Bildschirmen saß, hatte sie damals, drüben in Westdeutschland, noch einen Mann, der sollte die Sendung vielleicht besser nicht sehen! +++ Ich ging mit dem Mikrofon meines Privatsenders in der Hand also zu Ulrike Meyfarth und sagte: „Frau Meyfarth, können Sie mir ein paar Gedanken zum Thema Berlin und Olympia … „, da schnauzte sie mich erst einmal an, sie hieße gefälligst Nasse-Meyfarth, pipapo, was für ein dämlicher Name – Freunde sind wir an dem Abend nicht mehr geworden. +++ Die U-Bahn jedenfalls nach dem Kino war ganz schön voll, das wunderte mich. Es ging ja nun locker auf zwei zu, und alle hatten Bierflaschen in der Hand. Irgendwann wurde ein Platz neben mir frei, und eine junge Italienerin setzte sich zu mir. Nach einer Weile sagte sie: „Schöne Kamera“, und ich erzählte ihr von Karl-Heinz Dellwo, der sei sehr sympathisch gewesen. Mit der RAF kannte sie sich erstaunlich gut aus, und erst am Kottbusser Tor schaute ich wieder auf: „Oh, tut mir leid – hier muss ich raus!“ +++ Da musste ich direkt mal an Tim und Struppis Kristallkugeln denken, ich elender Kindskopf.

Überschrift inspired by: Une jeunesse allemande (Dokumentation) mit Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Holger Meins, Horst Mahler, Gudrun Ensslin © Jean-Gabriel Périot (Réalisation), F 2015

Überschrift also inspired by: Holger Meins (* 1941 in Hamburg, † 1974 in Wittlich), deutscher Terrorist und früherer Filmemacher

Lyrics: La décadanse © Serge Gainsbourg feat. Jane Birkin, 1971 

Ulrike Nasse-Meyfarth (* 1956 in Frankfurt/M.), deutsche Hochspringerin und zweifache Olympiasiegerin

Talk im Turm (politische Talkshow, u.a. mit Erich Böhme) © Sat.1, D 1990 bis ’99

Night Cracks Harbour © And the Wiremen, vorauss. 2019

Marie-Antoinette | Holzmarktstraße 15 – 18 | Mitte

Kino Krokodil | Greifenhagener Straße 32 | Prenzlauer Berg

Das hässlichste Auto der Welt © Grzegorz Szczepaniak (Regie), PL 2017

Karl-Heinz Dellwo (* 1952 in Opladen), ehemaliger RAF-Terrorist und jetziger Filmemacher, Verleger und Gastwirt

Ulrike Meinhof (* 1943 in Oldenburg, † 1976 in Stuttgart-Stammheim), deutsche Journalistin und Terroristin

Neiße Filmfestival (NFF), zeigt im deutsch-polnisch-tschechischen Ländereck Filme aus Osteuropa (seit 2004)

Ola Staszel | Programm- und Festivaldirektorin | Neiße Filmfestival

Lucie Hollmann (* 1993 in Berlin), dt. Schauspielerin, u.a. in LOMO – The Language of Many Others, D 2017

Luzie, der Schrecken der Straße (sechsteilige Fernseh-Kinderserie) © Ota Hofman/Jindrich Polák (Idee), BRD/CSSR 1980

Tintin – Les sept boules de cristal © Hergé, 1948

Papa was a Rodeo / Baader kommt ganz groß in Mode.

MÜLLERSTRAßE © KAI VON KRÖCHER, 2018

I like your questioning eyebrows, you’ve made it pretty clear what you like. +++ Neulich, da hatte das Science-Magazin eine Studie veröffentlicht, ich kriege das nicht mehr zusammen. Es gab dazu ein Interview mit irgendwem irgendwo. Ich habe das Thema also sehr gründlich recherchiert, aber egal. Die Quintessenz jedenfalls ungefähr: „Von einer halben Million untersuchter Künstler sind insgesamt nur 240 spät entdeckt worden“, das heißt in etwa so viel wie, als Spätgebärender kannst du den ganzen Quatsch genau so gut sein lassen. Vielleicht besser gleich einen anständigen Beruf annehmen, davon gibt es ja heutzutage ausnehmend viele. +++ Oder, um es mit Old Billy Wilder zu sagen: „Die Lage ist hoffnungslos aber nicht ernst.“ +++ Okay. +++ Aber eigentlich wollte ich die wenige Zeit heute mal nutzen, ein bisschen Werbung in uneigennütziger Sache zu machen. Im Club der anständigen Herzen lautet das Motto nämlich am Abend: Plattendrehen mit Yoko Mono aus Hamburg. +++ Und wissen Sie was? Nächste Woche kommen dann sogar auch noch Spit & Sawdust, das sind ja nun auch Long lost alte Bekannte! +++ Ach, so: Die Fernsehwerbung des Versandhauses Bader war mir neulich so unvermittelt im Kopf umhergeschwirrt, an die erinnert sich wohlweislich kaum niemand. Die Gnade der frühen Geburt. Weit hergeholt jedenfalls auch wieder so ’ne Form der Duplizität der Ereignisse. Weil, a) fotografiere ich heute Abend den Terroristen Dellwo, und b) konnte unser Sohn Otto, und das ist kein Quatsch. Unser sehr junger und sehr supimäßiger Sohn Otto jedenfalls konnte bereits einen Endorsementvertag mit dem Otto-Versand Hamburg unterzeichnen, genau genommen per mündlicher Absprache – unter Edelleuten zählt noch immer das Wort! +++ Gibt es Bader eigentlich noch – oder auch Quelle?  +++ Ist ja egal, in fünf Jahren geht hier eh langsam das Licht aus.

Überschrift inspired by/Lyrics: Papa Was A Rodeo © The Magnetic Fields, 1999

Überschrift also inspired by: Bernd Andreas Baader (*1943 in München, †1977 in Stammheim), deutscher Terrorist

„Bader kommt ganz groß in Mode“, Werbeslogan des Versandhauses Bader

Eins, Zwei, Drei (mit Horst Buchholz, James Cagney, Liselotte Pulver u.a.) © Billy Wilder (Regie), USA 1961

Karl-Heinz Dellwo (*1952 in Opladen), ehemaliger deutscher Terrorist

Five Years © David Bowie, 1972

CLUB49 | Ohlauer Straße 31 | Berlin