Fiktives Vinyl: Facility – Meine Gefühle damals waren diametral © Kai von Kröcher, 2019/2022
Check baby, check baby. One two three. That’s alright with me. +++ Ich schreibe jetzt Kurzgeschichten. Für einen Roman reicht meine Aufmerksamkeitsspanne nicht aus, das Feld überlasse ich anderen. Wenn einem bei „Aufmerksamkeitspanne“ ein Flüchtigkeitsfehler unterläuft, gibt es eine Panne. Eine Self-Fulfilling Prophecy, wie man so sagt. Mit der Suche nach einer Anstellung hier neulich, das war vielleicht etwas blauäugig. Berufseinstieg mit Ende Fünfzig ist dann wohl doch etwas hoch gepokert. Deshalb jetzt hier also die Kurzgeschichten. Bisher ist es ja nur die eine, und die sicherlich selbst für eine Kurzgeschichte etwas zu kurz. Aber Rom wurde auch nicht an einem Tag gebaut, wie man so sagt, selbst ein Fußballspiel dauert neunzig Minuten. Kurzgeschichten sind eine gute Idee, wobei ich natürlich gern vor mich hin fasele. Vielleicht könnte man mehrere von ihnen in einem Buch zusammenfassen, einem Novellen-Band, kurze Novellen: Novelle Vague. Finde ich super, wenn man auf Reisen ist. Irgendwann, das muss letztes Jahr schon gewesen sein. Mit meinem Sohn von München-Hauptbahnhof nach Berlin. Meistens ist er ein unfassbar geduldiger Begleiter, wir haben uns nicht eine Sekunde gelangweilt – und nicht ein einziges Mal hat er gefragt, wann sind wir da. Aber in Bamberg fiel mir was auf. Weil ich auf Bamberg gespannt war, im Zweiten Weltkrieg von Bomben angeblich verschont. Anders als Würzburg oder auch Braunschweig. Vielleicht alles relativ. Ich hatte mir mehr versprochen. Der Bahnhof zumindest, als wir da hielten, war eine reine Enttäuschung. Gelsenkirchen zum Beispiel ist auch ein Schlag ins Gesicht, aber das ist natürlich eine ganz andere Strecke, wer will da schon hin. Außer vielleicht auf dem Weg nach Paris. Ich hatte immer gedacht, über Paris habe Hitler seine schützende Hand gehabt seinerzeit. Weil er an einer verborgenen Stelle irgendwo doch eine entwaffnende Kultiviertheit besaß. Während er halb Europa in Schutt und Asche legt, verschont er die Stadt der Liebe, dachte ich immer. Die Geschichte aber ist eine andere. Meine Kurzgeschichte heute spielt ebenfalls auf Reisen. Sie ist aus der Perspektive einer jungen Ausländerin geschrieben. Ausländer sagt man ja eigentlich nicht, doch jeder Mensch ist Ausländer irgendwo. Und so ist auch diese Figur hier nicht näher definiert, das überlasse ich dem Auge des Betrachters. Aus Nairobi könnte sie sein, genau wie aus Albuquerque, das ist in Neu-Mexiko. Spielt keine Rolle. Die Frage ist eine andere: Es geht dabei, wie gesagt. Um eine junge Frau zu Besuch in Berlin. Vielleicht in Neukölln, aber trotz allem eher traditionell deutsch, das ist wichtig, sonst funktioniert die Geschichte nicht. Neukölln zum Beispiel im Saalbau. Heißt doch Saalbau, dieses – ja, ohne zu übertreiben könnte man(n) sagen: Kaffeehaus. Hinter dem Heimathafen, ich bin da so ewig nicht mehr gewesen. Nur draußen neulich vorbeigerannt. Sofort habe ich den Kellner vor Augen, der einem morgens das Frühstück serviert. Von der Seite schräg fällt das Sonnenlicht ein. Ich könnte nachher tatsächlich kurz dort vorbeischauen, muss eh zum Rathaus Neukölln. Blut abnehmen lassen. Gegenüber vom Rathaus natürlich, einfach Routine-Check. Da müsste ich langsam hier endlich mal hinmachen, die Geschichte geht so: „Es war ihr zweiter Tag in der Stadt, sie saß in dem halbdunklen Café ohne Musik und verzog eine Miene, als habe ein Zuhälter ihr Salzsäure direkt ins Gesicht gespritzt.“
Überschrift inspired by: Take No Prisoners © Lou Reed, 1978
Überschrift also inspired by: To Cut a Long Story Short © Spandau Ballet, 1980
Lyrics: Check Baby © Kurt Vile, 2018
Teenage Kicks © Nouvelle Vague, 2004
The King of Rock ’n‘ Roll © Prefab Sprout, 1988
Albuquerque: mit 564.559 Einwohnern die größte Stadt im US-Bundesstaat New Mexico