Makakenschredder / Nachtzug D 106.

Fiktives Vinyl: Cadillac Frank – Makakenschredder © Kai von Kröcher, 2017/2022

 

I like Campari soda, I’d can can if I could. +++ Erinnern Sie sich an Cadillac Frank? Ich selber war nie dabei – alles längst kaum mehr wahr, die Neunzigerjahre. +++ Wo ich Franziska Giffey vielleicht aber doch Recht geben muss: Die Baureihe Dingenskirchen fährt schon auffallend weich, beinahe schwebt sie. Im krassen Gegensatz dazu dieses kreissägende Abfahrtssignal – als flankierende Maßnahme würde ich Stroboskopblitze empfehlen. Und wer es dann noch immer nicht mitbekommen hat: kurz vor der Abfahrt die Türen unter Strom setzen. +++ Sie kennen mich: Ich hole mir meine Inspiration auf/von der Straße. Als ich die Karl-Marx-Straße gestern entlang mäanderte, meinen Blick schließlich dem Himmel zuwandt. Eine einmotorige Propellermaschine zog über den Dächern Neuköllns ihre Runden – und ein Transparent hinter sich her. Werbung fürs iPhone 37, dachte ich so im Scherz. In fetten Lettern stand da stattdessen aber zu lesen: „VIRUS LÜGE“. +++ Ist ja lustig: das Coverfoto heute von Cadillac Franks Makakenschredder (oben), das war damals auch an der Karl-Marx-Straße entstanden – im Parkhaus unter dem Klunkerkranich. Was ihn beim Album-Titel aber geritten hat, erschließt sich mir nicht komplett. +++ Vielleicht hole ich mir auch so ein Kleinstflugzeug – der Einfachheit halber eine Cessna oder ’ne Piper, ich habe da echt keine Ahnung. Was fliegt denn der Merz? So ’n Teil ungefähr werde ich mir für den Nachmittag kurz einmal ausleihen, eine Iljuschin Il-103 – und auf dem Transparent hinten dran: „BAUREIHE 483/484 – FUCK OFF!“

 

Überschrift inspired by: Makakenschredder © Cadillac Frank, 2022

Überschrift also inspired by: Nachtzug D 106 (Fernsehfilm mit Klaus Schwarzkopf) © Helmut Ashley (Regie)/ZDF, D

Lyrics: U Can Dance © DJ Hell feat. Bryan Ferry, 2009

Böhmische Dörfer / Du hast Angst vorm Hermannplatz.

Fiktives Vinyl: Qamar – Schurkenstaat © Kai von Kröcher, 2013/2022

 

Weckt sie nicht, bis sie selber sich regt – ich habe mich in ihren Schatten gelegt. +++ Die Karl-Marx-Straße muss man mögen, sage ich immer – nicht etwa im Sinne von, man kann gar nicht anders. Eher so, sie ist nicht gerade jedermanns Sache. An einem leuchtenden Oktobertag aber, morgens um zehn, da räumt sie einem durchaus reelle Chancen ein. Wenn die noch reine Frühsonne sanft über der Straßenschlucht steht. Viele Geschäfte öffnen nicht vor elf, das Leben erscheint fast schon beschaulich, so stellt man sich landläufig Lüneburg vor. Im Kaffeehaus drinnen, dem Café Rix – von Rixdorf natürlich, als damals die Böhmen dort Zuflucht fanden. Da war ich gestern der erste Gast. Der Kellner war leider nicht da – nur eine Frau, die war auch okay, Zeiten ändern sich. +++ Die Kurzgeschichte gestern, hatten Sie die verstanden? Ziemlich verklausuliert: Zuhälter, Salzsäure im Gesicht? Sollte einfach nur eine augenzwinkernde Alltagsbeobachtung sein, ich liebe augenzwinkernde Alltagsbeobachtungen. Dass viele Touristen/Besucher/Neuberliner, wenn man sie fragt. Gibt doch im Internet immer so die Rubik, was war das Erstaunlichste in Deutschland, woran kannst du dich nicht gewöhnen. Da sagen dann alle immer als erstes, die Nazis diese ewige Rechthaberei Kohlensäure im Mineralwasser. +++ Qamar lernte ich an einem Schaufenster kennen, sie stand da einfach so rum, Karl-Marx-Straße hoch Richtung Hermannplatz. Sie gilt als eine der Nachwuchshoffnungen im deutschen Trip-Hop. Ihr Vorbild ist Tricky, ansonsten alles Mögliche, Caspar zum Beispiel. Anfang der Nullerjahre im Schillerkiez geboren, befasst sie sich in ihren Tracks oft auch mit ihren arabischen Wurzeln. Qamar in etwa heißt übrigens „Mond“, das Foto haben wir nachmittags dann auf der Oranienstraße gemacht.

 

Überschrift inspired by: Böhmisch-Rixdorf (auch Böhmisches Dorf, tschechisch: Český Rixdorf), kleine Gemeinde protestantischer Flüchtlinge aus Böhmen, seit 1737 – heute Ortsteil Neuköllns 

Überschrift alsi inspired by: Du hast Angst vor’m Hermannplatz (Slogan) © Muschi Kreuzberg (Modelabel), 2015

Lyrics: Wenn ein Mensch lebt © Puhdys, 1973

Tricky (* 27. Januar 1968 in Bristol als Adrian Nicholas Matthews Thaws), britischer Rapper, Musiker und Produzent

Alles endet (aber nie die Musik) © Caspar, 2013

Take Prisoners / To Cut a Short Story Short.

Fiktives Vinyl: Facility – Meine Gefühle damals waren diametral © Kai von Kröcher, 2019/2022

 

Check baby, check baby. One two three. That’s alright with me. +++ Ich schreibe jetzt Kurzgeschichten. Für einen Roman reicht meine Aufmerksamkeitsspanne nicht aus, das Feld überlasse ich anderen. Wenn einem bei „Aufmerksamkeitspanne“ ein Flüchtigkeitsfehler unterläuft, gibt es eine Panne. Eine Self-Fulfilling Prophecy, wie man so sagt. Mit der Suche nach einer Anstellung hier neulich, das war vielleicht etwas blauäugig. Berufseinstieg mit Ende Fünfzig ist dann wohl doch etwas hoch gepokert. Deshalb jetzt hier also die Kurzgeschichten. Bisher ist es ja nur die eine, und die sicherlich selbst für eine Kurzgeschichte etwas zu kurz. Aber Rom wurde auch nicht an einem Tag gebaut, wie man so sagt, selbst ein Fußballspiel dauert neunzig Minuten. Kurzgeschichten sind eine gute Idee, wobei ich natürlich gern vor mich hin fasele. Vielleicht könnte man mehrere von ihnen in einem Buch zusammenfassen, einem Novellen-Band, kurze Novellen: Novelle Vague. Finde ich super, wenn man auf Reisen ist. Irgendwann, das muss letztes Jahr schon gewesen sein. Mit meinem Sohn von München-Hauptbahnhof nach Berlin. Meistens ist er ein unfassbar geduldiger Begleiter, wir haben uns nicht eine Sekunde gelangweilt – und nicht ein einziges Mal hat er gefragt, wann sind wir da. Aber in Bamberg fiel mir was auf. Weil ich auf Bamberg gespannt war, im Zweiten Weltkrieg von Bomben angeblich verschont. Anders als Würzburg oder auch Braunschweig. Vielleicht alles relativ. Ich hatte mir mehr versprochen. Der Bahnhof zumindest, als wir da hielten, war eine reine Enttäuschung. Gelsenkirchen zum Beispiel ist auch ein Schlag ins Gesicht, aber das ist natürlich eine ganz andere Strecke, wer will da schon hin. Außer vielleicht auf dem Weg nach Paris. Ich hatte immer gedacht, über Paris habe Hitler seine schützende Hand gehabt seinerzeit. Weil er an einer verborgenen Stelle irgendwo doch eine entwaffnende Kultiviertheit besaß. Während er halb Europa in Schutt und Asche legt, verschont er die Stadt der Liebe, dachte ich immer. Die Geschichte aber ist eine andere. Meine Kurzgeschichte heute spielt ebenfalls auf Reisen. Sie ist aus der Perspektive einer jungen Ausländerin geschrieben. Ausländer sagt man ja eigentlich nicht, doch jeder Mensch ist Ausländer irgendwo. Und so ist auch diese Figur hier nicht näher definiert, das überlasse ich dem Auge des Betrachters. Aus Nairobi könnte sie sein, genau wie aus Albuquerque, das ist in Neu-Mexiko. Spielt keine Rolle. Die Frage ist eine andere: Es geht dabei, wie gesagt. Um eine junge Frau zu Besuch in Berlin. Vielleicht in Neukölln, aber trotz allem eher traditionell deutsch, das ist wichtig, sonst funktioniert die Geschichte nicht. Neukölln zum Beispiel im Saalbau. Heißt doch Saalbau, dieses – ja, ohne zu übertreiben könnte man(n) sagen: Kaffeehaus. Hinter dem Heimathafen, ich bin da so ewig nicht mehr gewesen. Nur draußen neulich vorbeigerannt. Sofort habe ich den Kellner vor Augen, der einem morgens das Frühstück serviert. Von der Seite schräg fällt das Sonnenlicht ein. Ich könnte nachher tatsächlich kurz dort vorbeischauen, muss eh zum Rathaus Neukölln. Blut abnehmen lassen. Gegenüber vom Rathaus natürlich, einfach Routine-Check. Da müsste ich langsam hier endlich mal hinmachen, die Geschichte geht so: „Es war ihr zweiter Tag in der Stadt, sie saß in dem halbdunklen Café ohne Musik und verzog eine Miene, als habe ein Zuhälter ihr Salzsäure direkt ins Gesicht gespritzt.“

 

Überschrift inspired by: Take No Prisoners © Lou Reed, 1978

Überschrift also inspired by: To Cut a Long Story Short © Spandau Ballet, 1980

Lyrics: Check Baby © Kurt Vile, 2018

Teenage Kicks © Nouvelle Vague, 2004

The King of Rock ’n‘ Roll © Prefab Sprout, 1988

Albuquerque: mit 564.559 Einwohnern die größte Stadt im US-Bundesstaat New Mexico

Camargue Avenue / Shadows of Brilliant Things.

Café Moskau: In der Popularmusik spielte Karl Marx, soweit ich weiß, keine entscheidende Rolle © Kai von Kröcher, 2020

 

She realised she’d never ride through Paris in a sports car with the warm wind in her hair. +++ Aus politischen Banalitäten halte ich mich ja am liebsten heraus. Aber ich lag heute früh, das muss ich Ihnen erzählen. Da lag ich um 6:24 Uhr knallwach im Bett, draußen setzten die Hundstage bereits wieder zum Sprung an. Rekordverdächtig schlecht geträumt hatte ich. In meinem Alptraum war ich irgendwie Bolsonaro begegnet. Das muss so furchtbar gewesen sein, dass ich mich an nichts weiter erinnern kann – periodische Amnesie sagt man dazu. Wie gelähmt lag ich wach. Ich dachte, was für eine Lüge: Da führen wir heute den herzensreinen, lieben Otto in seine Naturkita Löwenzahn ein und gaukeln ihm eine sorglose Welt vor. THERE IS A HAPPY LAND WHERE ONLY CHILDREN LIVE, und so weiter. Und gleichzeitig schauen wir seelenruhig zu, wie ein einzelnes egomanisches Nazischwein unserer aller Lebensgrundlage und so weiter. Oder dealen mit dieser menschlichen Ratte auch noch überflüssige Handelsabkommen aus. Der Planet geht meiner Meinung nach unrettbar den Bach hinunter. In spätestens achtzig Jahren ist hier alles im Eimer, und keine Sau unternimmt heute etwas. Man muss ihn ja nicht gerade nackt an den Eiern durchs Dorf schleifen. +++ Man könnte die GSG9 schicken und ihm einfach das Hirn aus dem Kopf blasen. +++ Das wäre ernsthaft mein Vorschlag! +++ Die „Einschulung“ heute war toll. Super Kita! Otto bekam zur Begrüßung zwar gleich eine aufs Maul, nein: Feuertaufe bestanden – er wurde am Anfang nur einmal zu Boden geschubst und brach vor Schreck kurz in Tränen aus. Dann aber mischte er sich unter seine neuen Kumpanen und ward eine Zeitlang nicht mehr gesehen. +++ Achtung: Karl-Marx-Allee nicht mit gleichnamiger Straße verwechseln!

 

Überschrift inspired by: Franz Marc (* 8. Februar 1880 in München; † 4. März 1916 gefallen bei Verdun)

Überschrift also inspired by: Hunter and the Hunted © Simple Minds, 1982

Lyrics: The Ballad of Lucy Jordan © Marianne Faithful, 1979

There Is A Happy Land © David Bowie, 1967