Neunundneunzig Zentimeter / River Deep, Mountain High.

Fiktives Vinyl: Jürgen Stalin – Die Bestie zum Schluss © Manuela Steinemann (Foto), 2012 / Kai von Kröcher (Artwork), 2022

 

Du kannst nicht schlafen, die Straße rauscht wie ein Meer: die letzte Telefonzelle, bis ein Betrunkener reinfährt. +++ Die Erwartungen waren hoch, das lässt sich nicht kleinreden – doch jetzt ist er wieder da: Jürgen Stalin mit seinem neuen Longplayer, gut gelaunter denn je! +++ Vor ein paar Tagen gerade hatte ich an Zip Schlitzer denken müssen, komisch, ich kannte den ja gar nicht: Irgendwann nachts war er im Club aufgetaucht, hatte sich still und sympathisch an den Tresen gesetzt und gemeint, ich müsse das Bier teurer machen, sonst käme ich nicht über die Runden. Komische Einstellung für einen Punk, dachte ich. Aber vielleicht ist das die grundsätzliche Philosophie hinter Punk: niemand soll auf der Strecke bleiben. +++ Nein, die Typografie bei Jürgen Stalin heute ist nicht die gleiche wie gestern die bei Ilse Paradies, das sieht nur so aus. +++ Dass er Punk gewesen sein könnte, hatte ich nicht gewusst, vielleicht war er’s ja nicht. Auch nicht, dass er Zip Schlitzer war, da hatte Marco sich dann hinterher erst verschwörerisch zu mir rüber gebeugt und gesagt: „Das war ja Zip Schlitzer!“ Und Terrorgruppe seien einer der Gründe gewesen, weshalb er (Marco/Anm.d.Red.) seine Jugend in der DDR überhaupt habe ertragen können. Oder so ähnlich, ist ja schon Jahre her. +++ Mein Sohn dürfte dieser Tage irgendwann, oder besser gesagt: Ziemlich oft stelle ich ihn an den Türrahmen und mache einen Strich mit dem Bleistift – über 97 cm waren wir bisher nicht hinausgekommen. +++ Von Terrorgruppe hatte es da nämlich wohl so einen Song gegeben, die Kellnerin im POWWOW hatte das in den Neunzigern einmal kreischend nachgesungen. Die, die sich manchmal an den Tresen gestellt und „Ficken!“ gebrüllt hat – und von manchen Gästen hinter vorgehaltener Hand deshalb immer „Ficken“ genannt worden war: „Neunundneunzig Zentimeter, einer mehr, dann wär’s ein Meter!“ Darüber hatte Ficken sich gar nicht mehr eingekriegt. +++ Jürgen Stalin auf dem Plattencover (oben) sieht überdurchschnittlich zufrieden aus: Ein Endvierziger, der fast alles erreicht hat. Mit der Lieblingsfotografin zusammen die Kanzelwand rauf in der Seilbahn, und oben sich dann einfach mal rückwärts ins Gras fallen lassen – wie der Typ in der Jever-Werbung seinerzeit: Kein Stress, keine Experimente! +++ Zip Schlitzer war danach eine zeitlang immer mal wieder spät abends aufgetaucht, feiner Mensch irgendwie – und wohl auch ein sehr guter Bassist. Gestern schrieb jemand bei Facebook, Zip Schlitzer ist tot – ein Jahr älter war er als ich.

 

Überschrift inspired by: irgendwas von Terrorgruppe (Ficken-Version)

Überschrift also inspired by: River Deep – Mountain High © Ike & Tina Turner, 1966

Lyrics: Gierig © Die Höchste Eisenbahn, 2016

Powwow | Dieffenbachstr. 11 | 10967 Berlin (ca. 1993 – 2020)

Daytona Demon / Royal Pain in the Ass.

Kanzelwand mit Kanzler Kohl © Manuela Steinemann, 2012

 

Far beyond your wildest dreams, I’ve seen chaos and order reign supreme, I’ve seen the beauty of the universe. +++ Neulich bei Kaiser’s Rewe am Kottbusser Tor, da stand hinter den Kassen ein Grill herum, wahrscheinlich im Angebot. Bin ja nicht so der Griller, und jetzt gibt mir die Klimavernunft posthum sogar recht. +++ Sind Sie sich auch immer nicht sicher, ob man „Rechtgeben“ groß und zusammen oder klein schreibt? Wurscht, sagt der Duden – Hauptsache stets auseinander! +++ Jedenfalls, das war vor ungefähr einer Woche: der Grill trug den Namen Dayton, und ich überlegte, ob die Kids heutzutage noch immer so gern Suzi Quatro hören wie damals zu meiner Zeit. +++ Das Foto oben – ich weiß nicht mal genau, wo ich das letztens gefunden habe: das ist einer dieser göttlichen Schüsse der Lieblingsfotografin, Kleinwalsertal vor tatsächlich schon wieder sieben Jahren. +++ Den Namen „Dayton“ in Verbindung nicht mit einem Holzkohlegrill, sondern im Zusammenhang mit dem Amoklauf in Ohio zum ersten Mal hörte ich dann noch am selben Abend – da war sie also wieder, die „Duplizität der Ereignisse“. +++ Grüße an Game over, Krauts! +++ Der gemütliche Präsident Trump aus Amerika jedenfalls ist da ja dann persönlich hingefahren und hat Autogramme gegeben: In seiner Ansprache blöderweise hat er Dayton mit Toledo verwechselt. +++ Okay, das stand vorgestern schon in der Zeitung, das war Ihnen nicht neu. +++ Der zweite Teil der Überschrift heute könnte natürlich auch „Königin der Berge“ heißen, doch neulich, beim Schuhezubinden in der Nähe vom Gleidreieck. Da habe ich mir den Hexenschuss meines Lebens eingefangen, da habe ich später beim Arzt sieben Spritzen ins Kreuz und eine in die linke Pobacke bekommen, die verursachten den sprichwörtlichen Pain in the Ass. +++ Auf Französisch wär’s ein Brot, vielleicht ein Baguette. +++ Aber was mir gestern für eine echt kluge Beobachtung durch den Kopf ging, ich hoffe, die gibt es nicht schon von jemandem anders: Wenn man nämlich in der Autowerkstatt arbeitet (oder vielleicht sogar auf dem Schrottplatz) – dann interessiert man sich wahrscheinlich ziemlich für Autos, ist am Ende ein Autonarr. Verstehen Sie, worauf ich hinaus will? Das kann man jetzt endlos so fortsetzen: Blumen und Pflanzen – Gärtnerei. Musik – Tonstudio und Plattenfirma. Küsse und Liebelei – Pornodarsteller. Und so weiter, die Gesetzmäßigkeit ist nicht schwer zu durchschauen. Und wenn man dann also Tiere mag, dann sucht man sich einen Job auf dem Schlachthof. +++ Urlaubszeit – schönste Zeit!!!

 

Überschrift inspired by: Daytona Demon © Suzi Quatro, 1973

Überschrift inspired by: The Catcher in the Rye (Roman) © J.D. Salinger, 1951

Lyrics: Things I’ve Seen © Spooks, 2000

Königin der Berge (Roman) © Daniel Wisser, 2018

Ein Haus auf dem Land / Eine Wohnung in der Stadt (Roman) © Jan Brandt, 2019