Désirée Desire / Ich spüre ein dunkles Verlangen.

Liebermann-Villa am Wannsee (Handyfotografien) © Kai von Kröcher, 2021

 

Zum Kanal an Ruinen vorbei, da hinten das Büro der Partei, auf dem Gehweg Hundekot. +++ Nach etwa drei Jahren saß ich heute zum ersten Mal wieder im weltschönsten Wartezimmer beim Promiarzt drüben. Vom Stapel mit den Zeitschriften hatte ich mir blind eine Ausgabe der Geo gegriffen, bei einer Fotostrecke mit Landschaftsaufnahmen blieb ich hängen: Schwarzweiß-Fotos von Ansel Adams, der muss ja nun auch schon alt wie Methusalem sein. In harten Kontrasten zeigten die Bilder, so ungefähr hieß es, die Göttlichkeit der Natur: Rettet die Erde für eure Kinder, so der Appell Adams‘ in der Überschrift. +++ Unweigerlich denken musste ich an das sogenannte „Triell – Dreikampf ums Kanzleramt“, gestern Abend im Fernsehen: Olaf verspricht einen moderaten Klimawandel, der fröhliche Armin wirbt für Vertrauen und Wachstum. +++ Dann eine doppelseitige Werbeanzeige, ich stutzte: der Opel Senator A1! +++ Soll ich den Witz für Sie jetzt vielleicht noch erklären? +++ Der Promiarzt sagte, das sei ja mal eine Überraschung, ich sagte, mir fehle nichts, der Promiarzt meinte, das höre man selten. Lediglich eine Kur gemeinsam mit meinem Sohn Otto hatte ich mir verschreiben lassen wollen – was geht Sie das überhaupt an?! +++ Noch nie was von ärztlicher Schweigepflicht gehört? +++ Zeitgleich zum Erscheinen ihres ersten Doppelalbums auf Vinyl gibt es übrigens ein neues Video von Graf Tati und Cécile Dupaquier: Interhotel – Strange Desire (anklicken) – mit moderner Wackelkamera vom Meister himself. Und kein Geringerer als Hanno Lentz soll sich hier für seine Arbeit an der Kästner-Verfilmung Fabian oder der Gang vor die Hunde inspirieren lassen haben! Live sind Interhotel übrigens zu sehen am Samstag am Heinrichplatz. +++ Lange Rede, kurzer Sinn: der Promiarzt strich mir über den Arm: „Wir machen hier gar keine hausärztliche Arbeit mehr.“ +++ In welchem Paralleluniversum war ich da nun wieder gestrandet? +++ Aber tatsächlich, er und sein Bruder hatten die Praxis, wenn ich’s richtig verstanden habe. Sie waren wohl schon dabei gewesen, ihre Praxis vor Jahren aufzugeben – dann kam Corona, und seitdem helfen sie nur noch mit Impfungen oder so aus, keine Ahnung. +++ Ich bin dann stattdessen zur Liebermann-Villa am Wannsee gefahren, das war auch wie’ne Kur…

 

Überschrift inspired by: Ich spüre ein dunkles Verlangen © Désirée Desire, 2021

Lyrics: Berlin © Ideal, 1980

Ansel Easton Adams (* 20. Februar 102 in San Francisco; † 22. April 1984 in Carmel-by-the-Sea, Kalifornien), US-amerikanischer Fotograf

Opel Senator A1 © Adam Opel AG/General Motors, 1978 – 1982

Interhotel (Doppel-Vinyl) © Interhotel, 2021

Strange Desire © Interhotel, 2021 (Kamera: Kai von Kröcher)

Fabian oder der Gang vor die Hunde (Romanverfilmung nach Erich Kästner) © Dominic Graf (Regie), D 2021 (Kamera: Hanno Lentz)

Dafür (Kundgebung der Partei Die Partei) | feat. Interhotel, Mekanik Destrüktiw Komandöh, Hackelbörger | Samstagnachmittag, 18.9. | Heinrichplatz | Berlin-Kreuzberg

Die Partei | Büro: Admiralstraße 17 | Berlin-Kreuzberg

Liebermann-Villa am Wannsee | Colomierstraße 3 | 14109 Berlin-Zehlendorf

Max Liebermann (* 20 Juli 1847 in Berlin; † 8. Februar 1935 ebenda), dt. Maler und Grafiker, bedeutender Vertreter des dt. Impressionismus

What’s her name / Virginia Plain.

Heaven up here: Wolkenfantasie über dem Urban © Kai von Kröcher, 2020

 

I left my home in Georgia. +++ Vor einigen Jahren, da trat ich an einem sonnigen Nachmittag durch die offene Tür des Goldenen Hahn – wie ein gähnender Mund hatte sie offen gestanden und mich sozusagen verschluckt. Ich setzte mich an den Tresen und bestellte ein Bier, hinter mir in der Ecke saßen vier oder fünf Männer und Frauen. Am riesigen runden Holztisch unter dem Fenster ließen sie ihren Gedanken freien Lauf. In der Werbung, meinte der eine. Da zeigen sie immer nur schöne Menschen. Und dass die nur dazu da ist, den Konsum anzukurbeln. Ich trank noch ein Bier, dann ging ich wieder hinaus. +++ Die erste Woche im Kindergarten war übrigens toll. Otto blieb sogar für ein Stündchen ohne den Helikopterpapa dort. Ohne zu murren. Ein anderer Junge dagegen ist ständig am Flennen. Ich sehe ihn schon als Erwachsenen vor mir – Projektleiter in einem Großraumbüro in einem sechsundzwanzigsten Stock irgendwo herumcholerikierend in Frankfurt am Main. Der sophisticateste Name hier im Kindergarten ist Maximiliane, und zu meinem Entsetzen gibt es auch einen weiteren Otto. Der ist neun Monate alt und demnach ein Epigone. Im Prinzenbad neulich lief ebenfalls ein zweiter Otto am Kleinkinderschwimmbecken herum. Und hörte ich am Kottbusser Damm nicht gerade erst vorgestern einen Jungvater mit Buggy vor Denny-Boys Bioladen über einen ominösen „Otto“ herumfabulieren? +++ Es gibt nur ein‘ Rudi Völler. +++ Als ich gestern Abend rausgezogen bin, weitere Fotos vom Himmel zu machen. Da stand ich unter dem U-Bahnhof Prinzenstraße und fummelt gerade an den Einstellungen meiner Kamera herum. Da lief Markus W. von der Berliner Zeitung mit einem langen Teleobjektiv an mir vorbei, ich hatte ihn gar nicht kommen sehen. Wir fixierten uns kurz in den Augen, dann guckten wir wieder weg. Ich hätte gerne gesagt: „Hey, Markus, kennst du mich noch?!“ Über der Gitschiner Straße allerdings hing eine tiefstehende Sonne, und anscheinend wollte er gerade die Autoschlangen in Zeiten des abnehmenden Abendlichts fotografieren. Ich verdrückte mich schnell rüber zur anderen Seite der Straße. +++ Hatte selber genügend zu tun. +++ Vor einigen Jahren war ich mit einer Freundin auf dem Tempelhofer Feld. Wir spazierten da rum, und irgendwo saß da im hohen Gras ein Fotograf und hatte in etwa drei Metern Entfernung irgendeinen anscheinend seltenen Vogel direkt vor der Linse. Der Vogel reglos auf einem Zweig, der Fotograf den Finger am Abzug. Und sie dann so – die Luft durch die geschlossenen Zähne einsaugend schlug ich die Hände vors innere Auge. Und sie direkt auf den zu und polternd von oben herab: „Boah, so ein großes Objektiv, da haben Sie ja bestimmt jede einzelne Feder auf dem Bild!“ +++ Oder so.

 

Überschrift inspired by: Virginia Plain © Roxy Music, 1972

Bildunterschrift inspired by: Heaven Up Here © Echo and the Bunnymen, 1981

Lyrics: (Sittin‘ On) The Dock Of The Bay  © Otis Redding, 1967

Zum Goldenen Hahn | Heinrichplatz | 10999 Berlin

In Zeiten des abnehmenden Lichts (Roman) © Eugen Ruge, 2011