Get a Grip / Neid ist der Frohsinn der Missgunst.

Fucking Deep Postcards: Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober (Jannowitzbrücke) © Kai von Kröcher, 2021

 

Maybe I’m a lonely man who’s in the middle of something. +++ Ob die Überschrift heute so stimmt? +++ Folgende Insider-Information fand ich gestern im Internet: „Sean Lennon ist nicht halb so bekannt wie sein berühmter Vater John der als Mitbegründer und Sänger der Beatles in die Musikgeschichte eingegangen ist und das obwohl er schon seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr im Musikgeschäft tätig ist.“ +++ Reden ohne Punkt und Komma. +++ Am Superwahl-Sonntag letztens war ich mit meinem Sohn, der schon jetzt so bekannt ist wie sein Vater, obwohl der seit vierzig Jahren ein vielbeachteter Blogger. Jedenfalls, als wir da aus dem Wahllokal neulich herauskamen, und es hatte sich ja lange vorher schon abgezeichnet, einen bahnbrechenden Richtungswechsel wird es nicht geben. Aber soll ich Ihnen mal etwas sagen? Den weltweiten Facebook-Ausfall gestern fand ich persönlich bedrohlicher als diese ganze Panikmache seitens der Öko-Faschisten – da schleicht sich von hinten doch schon wieder ein politischer Witz heran. +++ Nein, ich fand den Facebook-Ausfall nicht schlimmer als den Klimawandel, da bin ich ganz ehrlich. +++ Am Wahlsonntag war ich schon ein bisschen enttäuscht, dass sich nicht einmal jetzt etwas ändern würde. Dann spazierten Otto und ich durch den herbstsonnig-milden Tiergarten und stiegen irgendwann in die S-Bahn. Und da geschah es, da fiel es mir auf: Auch die nagelneuesten Züge singen jetzt wieder das alte Abfahrtssignal, dieses sentimentale „La-lü-lah“. Das hatte als ostdeutsches Produkt damals sogar schon die Wende überlebt, war von Die Bahn in der neuen Baureihe dann aber in einer Vereinheitlichungsmaßnahme eliminiert worden. Das hatte mir identitäre Schmerzen bereitet, die Züge der Stadtbahn piepten plötzlich wie auf der Regionalbahn nach Stendal oder nach Kreiensen. +++ Und nun war alles wieder gut – hier hatte sich eben nichts geändert, verstehen Sie? +++ Was da oben wie ein Handy-Schnappschuss aussieht, da stecken in Wirklichkeit etwa anderthalb Tage Arbeit drin. Scheint diese Postkarte nicht wunderbar zeitlos? Könnte einen Sonntag im Kaiserreich ebenso zeigen wie Werbung für die DDR-Beherbergungskette Interhotel. +++ Am Rande hatte ich schon meine Männergrippe erwähnt, die fällt in diesem Jahr unspektakulär aber ungekannt hartnäckig aus. Und so saß ich gestern Abend vor den Öffentlich-Rechtlichen eingemummelt, und auf Verdacht schaute ich einen deutschen Film namens Freies Land. Stellte sich als irgendwas mit der Zeit kurz nach der Wende heraus. Und obwohl ich, ganz sicher der Männergrippe geschuldet, die Dialoge oft nicht verstand und überhaupt, ebenfalls der Männergrippe geschuldet, sowieso leicht auf dem Schlauch stand. Jedenfalls war ich außergewöhnlich geplättet von diesem Streifen. Und als ich dann googelte, dass der Regisseur nicht nur eben mal kurz auch am Drehbuch mitgeschrieben, sondern dass er gleichzeitig auch Kamera gemacht hatte – und das bei durchweg atemberaubenden Bildern. +++ Mit einem Grummeln im Bauch jedenfalls löschte ich angewidert das Licht und zog mir die Decke über den Kopf.

 

Überschrift inspired by: Get a Grip © Aerosmith, 1993

Lyrics: Maybe I’m Amazed © Wings, 1976 (Live-Version)

Freies Land (basierend auf dem spanischen Thrilller La isla mínima) © Christian Alvart (Regie, Drehbuch, Kamera), D 2019

Carte postale © Interhotel, 2021

Interhotel: Hotelkette der DDR der gehobenen Klasse – bevorzugt beherbergt wurden Gäste aus dem sozialistischen Ausland (SW), den nichtsozialistischen Wirtschaftsgebieten (NSW) und des FDGB der DDR.