Ein Kind von Traurigkeit / Wissenswertes über Solingen.

Looking Out My Back Door: Klinikum am Urban © Kai von Kröcher, 2020

 

Blue, the dawn is growing blue. +++ Das Bild heute ist von April. Das ist der Weg, wenn ich mit Otto die Abkürzung über das alte Krankenhausgelände rüber zu Urbanstraße und Südstern nehme. Die Hintertür des Neubaus von ’68 sozusagen. Da habe ich ja nu auch schon etliche schöne Stunden verbracht, das meine ich wirklich so. +++ Wenn ich mit meinem hervorragenden Sohn Otto am Krankenhaus vorbeigehe – manchmal zeige ich darauf und erzähle, wie er seinerzeit dort geboren worden ist. Als alter Scherzkeks füge ich dann immer hinzu: „Weißt du das noch?“ Einen Moment wird er mich prüfend ansehen – dann nickt er. +++ So war das damals. +++ Aber jetzt mal eine lustige Geschichte, regelrecht ein Anekdötchen: Die Sonne versank gerade gestern hinter den Häusern und tauchte die Welt um den Landwehrkanal in rotgoldenes Licht. Ich war auf dem Heimweg vom Club, der hat seine Außenterrasse jetzt wieder geöffnet. Von 17 bis zehn Uhr abends. Abstände werden diszipliniert eingehalten, davon konnte ich mich überzeugen. +++ Okay, wo waren wir stehengeblieben? +++ Ich ging also das Planufer hinunter, plötzlich stoppte auf dem Bürgersteig vor mir. Sie müssen sich das vorstellen wie in einem Gangsterfilm, wo alle vier Türen einer alten Limousine aufgerissen werden, und dann zerren Ganoven in Mänteln irgendjemanden in ihr Auto. In diesem Falle ein Champagnermetallic-farbener Opel Corsa. Aus der Beifahrertür springt ein Typ, kommt auf mich zu, meint irgendetwas von wegen, mein lieber Herr oder so: „Mein lieber Herr, kennen Sie sich aus? Wir sind nicht aus Berlin und müssen nach Leipzig – wir suchen den Weg zur Autobahn.“ +++ Die Geschichte hat es echt in sich, der Lacher geht am Ende auf meine Kosten – das macht einen guten Entertainer aus. +++ Naja, ich so erklärt: da vorn bis zur Ampel, dann rechts. Immer geradeaus, dann ist das bald ausgeschildert und so. Er nochmal nachgeplappert: Bis zur Ampel, dann rechts. Dann sieht er mir ins Gesicht: „Was fällt Ihnen zu Solingen ein?“ Merkwürdige Frage. Mir fiel der Spruch ein von Walter Giller in dem Film Zwei unter Millionen mit Hardy Krüger. Giller ist da so’n charmanter Hallodri aus Ost-Berlin kurz vor dem Mauerbau. Da geht es um irgend’ne Frau, und Giller meint, so scharf wie die sei, müsse die bestimmt zwei Jahre in Solingen gelebt haben, oder so. „Messer“, sage ich. Der Typ plappert mir nach: „Messer!“ In einem echten Ganovenfilm hätte ich jetzt gesagt: „Was bist du – ein verdammter Papagei?!“ +++ Er rennt zu seinem Kofferraum, kommt mit irgendwas in der Hand wieder: „Wir haben gerade auf der Messe gearbeitet.“ Messe in Zeiten der Pandemie. Er sagt: „Hier, ein Messerset – was denken Sie, was kostet das regulär? Weil Sie so freundlich sind, schenken wir Ihnen das.“ Jetzt stehe ich also da – mit einem Paket Messer in der Hand auf dem Bürgersteig und schaue irgendwie ratlos drein. Ich denke, die Geschichte sei jetzt vorbei. Er fragt mich: „Rasieren Sie sich?“ Jetzt rennt er zum Kofferraum und kommt mit einem neuverpackten Elektrorasierer zurück: „Weil Sie so freundlich sind, schenken wir Ihnen den.“ +++ Ich stehe jetzt also mit einem Messerset und einem Rasierapparat auf dem Bürgersteig und denke, das geht jetzt so weiter. Tischlein deckt dich, der Typ aber ist ein brillanter Schauspieler: Er verabschiedet sich, macht einen Schritt auf sein Auto zu. Dann dreht er sich Peter-Falk-mäßig um: „Ähm, wir müssten noch tanken – nach Leipzig. Könn‘ Sie uns nicht vielleicht was für unseren Sprit dazugeben – ich meine…“, er zeigt auf meine Messer und den Rasierapparat: „Im Laden kostet das zusammen 129 Euro!“ Ich gucke in meine Hosentasche: „Fünfzehn Euro, das ist mein letztes Geld. Zehn kann ich Ihnen geben, fünf …“ „Brauchen Sie selber“, plappert er mir prophylaktisch nach. Ich gebe ihm meinen Zehner, er sagt: „Sie haben von uns ein Messerset bekommen und einen Rasierapparat – wollen Sie uns dafür nicht auch noch die fünf Euro geben?“ Jetzt denke ich, ich bin bei Kurt Felix: „Aber ich brauche doch gar keinen Rasierer!“ +++ Tja, wie geht die Geschichte weiter?!

 

Überschrift inspired by: Ich bin kein Kind von Traurigkeit © Gitte, 1975

Überschrift also inspired by: Wissenswertes über Erlangen © Foyer des Arts, 1982

Bildunterschrift inspired by: Looking Out My Back Door © Creedence Clearwater Revival, 1970

Lyrics: Solo Sunny © Regine Dobberschütz, 1979

Renate Krößner (* 17. Mai 1975 in Osterode/Harz; † 25. Mai 2020 in Berlin-Mahlow), Schauspielerin

Solo Sunny © Konrad Wolf (Regie), DDR 1979

club49 | Ohlauer Str. 31 | 10999 Berlin-Kreuzberg | z.zt. 17:00 – 22:00 Uhr

Zwei unter Millionen (mit Walter Giller, Hardy Krüger, Loni von Friedl) © Victor Vicas, Wieland Liebske (Regie), BRD 1961

Peter Michael Falk (* 16. September 1927 in New York City; † 23. Juni 2011 in Beverly Hills), Schauspieler