Unter Leuten / Recovering the Satellites.

Fiktives Vinyl: Pratty Belinda – Über Leichen © Kai von Kröcher, 2014/2022

 

If you think you might come to California, I think you should. +++ So langsam schon setzt die Wehmut ein, mein Sohn ist kein Kind mehr. Heute früh, kurz vor dem Wetterbericht – ich goß mir gerade den frischgemahlenen Bohnenkaffee auf. Da sagte mein Sohn: „Hört sich ja an wie Dekker!“ Erst wusste ich nicht, was er meint. Dann sah ich, dass er vorm Radio stand: „Stimmt“, sagte ich – klang wirklich wie Dekker. Und trotzdem war es Nick Mulvey, ein Gründungsmitglied des Londoner Portico Quartets – von dem ich noch nie was gehört hatte. +++ Der Albumtitel heute – mein Sohn würde sagen, der könnte von Juli Zeh sein. Oder von August Sander, was allerdings Quatsch ist. +++ Eigentlich hatte ich heute an dieser Stelle eine interessante Neuerscheinung von Tilda vorstellen wollen, ihr Debütalbum namens Promiskuität: Ich finde es deshalb so interessant, das Cover nämlich zeigt einen Ausschnitt des Gewerbegebiets der ostfälischen Ortschaft Vechelde. Möglicherweise zu Recht werden Sie fragen, geht es in Vechelde denn wirklich so zügellos zu – wie soll ich das jetzt beantworten?

 

Überschrift inspired by: Unterleuten (Gesellschaftsroman) © Juli Zeh, 2016

Überschrift inspired by: Recovering the Satellites © Counting Crows, 1996

Lyrics: A Long December © Counting Crows, 1996

Pretty Belinda © Chris Andrews, 1969

This Here Island © Dekker, 2019

Brother to You © Nick Mulvey, 2021

August Sander (* 17. November 1876 in Herdorf; † 20. April 1964 in Köln), dt. Fotograf

Promiskuität © Tilda, 2022

 

 

Quarantäne / unter Leuten.

Sehnsuchtsort (I) © Kai von Kröcher, 2019
Sehnsuchtsort (II) © Kai von Kröcher, 2019
Sehnsuchtsort (III) © Kai von Kröcher, 2019
Sehnsuchtsort (IV) © Kai von Kröcher, 2019
Sehnsuchtsort (V) © Kai von Kröcher, 2019
Sehnsuchtsort (VI) © Kai von Kröcher, 2019
Sehnsuchtsort (VII) © Kai von Kröcher, 2019

Nerves like nylon, nerves like steel.+++ „Der Künstler Blablabla nimmt den Betrachter mit hinauf in schwindelerregende Höhen: in seinen Arbeiten befreit er vom täglichen Schein des Banalen – dadurch gibt er den Orten die Würde zurück, schafft Begrifflichkeiten der Sehnsucht.“ +++ So ist er, der Schmidt! +++ So, ich habe meine jährliche Männergrippe „genommen“, wie man so sagt. Stehe mehr oder weniger unter Quarantäne, einzig der kleine Otto darf kurz zu Besuch kommen, samt Mutter natürlich. Freue mich über den ausgeknockten Zustand, komplettes Geplättet-Sein. +++ Keine E-Mails, kein Facebook: in nicht mal zwei Tagen und Nächten las ich ein Buch, sechshundertfünfunddreißig Seiten, einen Roman. +++ Nicht mehr ganz brandaktuell, aber egal: ich habe mir beinahe die Finger blutig gelesen: Beklemmend, wahr, nicht vorhersehbar, menschlich, klug, spannend – den eigenen Blick immer wieder infrage stellend. +++ Zwischendurch sprachlich leider oft Ausritte: tantige Floskeln der Frauenliteratur. +++ „Es gibt keine »Frauenliteratur«!!!“ (Reich-Ranicki) +++ Egal, jedenfalls Sätze, wo man sich fragt, warum streicht die nicht einfach mal einer raus, der dafür bezahlt wird: aus einem so wohl durchdachten, philosophischen Werk. +++ Okay, gibt einen Abzug von anderthalb Punkten. +++ Aber dann echt der echte Faux-pas: Das Buch spielt in einem fiktiven Ort in der, wenn ich’s richtig verstanden habe, Ostprignitz, alles penibelst beschrieben. Irgendwann dann aber eine Rückblende zum Kottbusser Tor, zwei der Figuren in einer Situation. Und ausgerechnet an dieser unwichtigsten Stelle wird klar: unsere vielfach ausgezeichnete Autorin hat sich den scheiß U-Bahnhof nicht einmal richtig angeschaut!!! +++ Es gibt keine Türen am Kottbusser Tor, Juli Zeh! +++ 😉 +++ Der U-Bahnhof ist vom Feeling her auch kein „Gebäude“ (das man durch besagte Türen betritt), Kottbusser Tor ist ein Hoch- und ein Untergrundbahnhof, über Treppen und offene Eingänge miteinander verbunden. +++ Das musste mal raus! +++ Trotzdem ein toller Roman – nicht nur bei 39,2° Fieber! +++ Draußen der Vorfrühling in blauesten Farben, Kinder- und Möwengeschrei, Martinshorn: da zieht man am besten die Vorhänge zu und zieht sich zurück in die Schönheit des Januars (oben).

Überschrift inspired by: Guantanamera © Joe Dassin, 1966 (Interpretation)

Überschrift also inspired by: Unterleuten (Roman) © Juli Zeh, 2016

Lyrics: Nerves © Bauhaus, 1980

Christian Schmidt (* 1957 in Obernzenn)