Sechsunddreißig in 36 / Where the grass is green and the girls are pretty.

Berlin, Kottbusser Tor (Oktapolare Fotografie) © Kai von Kröcher, 2020

 

Wie du mich seh’n willst, genau so will ich sein. +++ Insider werden schon ahnen, was es mit dieser ominösen Rechenaufgabe in der Überschrift da oben wieder auf sich zu haben scheint: Heute, auf den Tag genau, vor sechsunddreißig Jahren – am 3. April 1989 nämlich, kam unser freundlicher Autor mit ein paar Taschen beladen in der Mauerstadt an – und erst mal bei seinem Kumpel, dem Russen, unter. Paul-Lincke-Ufer 25a, zweites Hinterhaus, zweiter Stock. Im alten Zustellbezirk SO 36 in Kreuzberg. Und während sein Kumpel, der Russe, tagtäglich beflissen zur Freien Universität runter nach Dahlem fuhr, scharwenzelte der Autor ein wenig umher, schnupperte den Frühling und die neu empfundene Freiheit, erkundete die unbekannte, verheißungsvolle Umgebung. +++ „Weit bin ich seitdem nicht gekommen, doch was soll ich hier?“ Um, glaube ich, ausnahmsweise Heinz Rudolf Kunze hier einmal falsch zu zitieren. +++ Während der Russe also studierte, studierte ich meine Umgebung. Sagte ich ja bereits. Und erinnere mich, wie ich in meinem Polo gerne die Hochbahntrasse entlang fuhr. Bei Hitradio 100, oder wie auch immer der Sender hieß, ich kannte mich ja null aus. Anscheinend der totale Kommerzfunk, aber sie spielten Paradise City – in dem Moment unter der Hochbahntrasse wie die Faust aufs Auge natürlich. +++ Und eines schönen Tages in diesen Apriltagen unter besagter Hochbahntrasse hörte ich zum allerersten Mal in meinem Leben dann auch die Pixies: Monkey Gone to Heaven, das hat sich eingebrannt, damals – heute ist schon beinah morgen!

 

Überschrift inspired by: alte Bezeichnung des Berliner Postzustellbezirks Südost 36 – landläufiger Name für den nordöstlichen Teil Kreuzbergs, kurz: 36

Überschrift also inspired by: Paradise City © Guns & Roses, 1988

Lyrics: Was kann ich tun © Marianne Rosenberg, 1975

Paul-Lincke-Ufer 25a | 1000 Berlin 36

Mit Leib und Seele © Heinz Rudolf Kunze, 1986

Monkey Gone to Heaven © Pixies, 1989

Zeit macht nur vor dem Teufel halt © Barry Ryan, 1972

Me and You and a Dog Named Boo / Je reste négatif.

Trompe le Monde: So sah die Zukunft aus © Kai von Kröcher, 2020

 

Through the yard of blonde girls, through the river and the sea. +++ Das auf dem Bild ist natürlich nicht Ecke Schönhauser, das ist das Dia-Positiv zum vorigen Post, sozusagen. Sie erinnern sich – nur die Schrift, die musste ich neu machen, da fehlte anfangs ein ‚H‘ hinter dem ‚T‘. +++ Irgendwas ist ja immer. +++ Aber neulich jedenfalls stand ich Ecke Schönhauser, ich biss mir die Zähne aus an einer der tollsten Kreuzungen Berlins. Die Erinnerung hatte mich hierher getrieben. Jetzt knipste ich seit zwei, drei Stunden im und gegen den Uhrzeigersinn, verlor mich, stand unschlüssig auf einer der vielen Fahrbahnen herum, ließ mir von Leihtransporterfahrerinnen Tiernamen geben. Zwischendurch trank ich Kaffee beim türkischen Bäcker mit der historischen Hochbahn unprätentiös an der Wand. +++ Aß Croissants. +++ Und wurde für all meine Mühen schließlich versöhnt: Gerade lehnte ich desillusioniert wieder Ecke Schönhauser, da blieb plötzlich ein höflicher, junger Mann stehen. „Darf ich kurz eine Frage stellen?“ „Ja, klar“, sagte ich. „Ich würde gern fotografieren lernen, geben Sie zufällig auch Unterricht?“ +++ Honi soit qui mal y pense, ich fand das sehr ’niedlich‘. +++ Was mir zur heutigen Überschrift Niedliches einfällt: Es scheint wahnsinnig kompliziert, den Unterschied zwischen mir und dir, zwischen ich und du zu verstehen. Mein hervorragender Sohn sagt bisher meistens ‚du‘, wenn er sich selbst meint. Weil wir ihn halt immer mit ‚du‘ ansprechen. Und ‚ich‘, wenn er zum Beispiel mich meint. Weil ich nun mal immer ‚ich‘ sage, wenn ich mich meine. Das muss voll verwirrend sein, Mister Spock wäre längst wieder der Kopf geplatzt. Es klingt völlig absurd, wenn ich ihm dann erkläre: „Wenn du dich meinst, musst du sagen ‚ich‘, wenn du von mir sprichst, heißt das ‚du‘ – du bist ‚ich‘, ich bin ‚du’…!“

 

Überschrift inspired by: Me and You and a Dog Named Boo © Lobo, 1971

Überschrift also inspired by: Négatif © Benjamin Biolay, 2003

Bildunterschrift inspired by: Trompe le Monde © Pixies, 1991

Bildunterschrift also inspired by: So sah die Zukunft aus © Winson, 2004

Lyrics: Yard of Blonde Girls © Jeff Buckley, 1998 (Cover)

Berlin – Ecke Schönhauser © Gerhard Klein (Regie), Wolfgang Kohlhaase (Drehbuch), DDR 1957

Honi Soit (La Première Leçon de Français) © John Cale, 1981