Dream Harder / White Lady Dogs on a Black Friday Night.

Half Moon on a Black Friday Afternoon: Weiße Siedlung, Neukölln © Kai von Kröcher, 2020

 

In a big country, dreams stay with you like a lover’s voice fires the mountainside. +++ Gegen Morgen hatte ich geträumt. Ein paar Tage ist das jetzt her. Tati und Cécile traten in Lengede auf, dem Nachbarort meiner Kindheit und Jugend. Hier war früher mein Zahnarzt, und hier ging ich später zur Fahrschule. Auch das sprichwörtliche „Wunder“ war hier geschehen: Das „Wunder von Lengede“ – im Herbst vor meiner Geburt. Am Ortseingang zu Lengede fing irgendwo die Finsternis an. +++ Tati und Cécile vertonten live einige Texte von Detlef Kuhlbrodt, dem Berliner Schriftsteller. Hinterher fuhren wir die Lengeder Hauptstraße hinunter, in meiner Erinnerung standen hier Bergarbeiterhäuser in Reihe geduckt. Red Hill Mining Town. Diesmal Fünfzigerjare-Architektur: lichtdurchflutet, verspielt. +++ Man kriegt oft eine zweite Chance im Leben. +++ Um die fade Geschichte hier abzukürzen, der Traum beseelte mich noch lange Zeit nach dem Aufwachen. Am Nachmittag schob der Postbote einen Brief durch den Türschlitz. Absender Tati und Cécile: Dieser Tage, schreiben sie da auf einer Interhotel-Grußkarte, irgendwann dieser Tage wird ihre Interhotel-Vinyl-Single fertig sein, wenn das mal kein Zeichen war. +++ Stellen Sie sich vor, heute ist Black Friday, und niemand schert sich einen feuchten Kehricht drum. Niemand bestellt online ein Fotowerk des Künstlers, das stellen Sie sich nur mal vor! +++ Das heutige Foto ist ein Outtake, sozusagen. Ein Nebenprodukt einer Fotosession unter dem Arbeitstitel A100/Estrel/Weiße Siedlung/Oktapolare. +++ Neuerdings sagen jetzt immer alle „tremendous“ – kennt denn keiner das altehrwürdige „knorke“ mehr? +++ Der Post heute ist ziemlich zusammengeschustert – muss los zur Kita…

Überschrift inspired by: Dream Harder © The Waterboys, 1993

Überschrift also inspired by: White Lady Dogs © All Thing Blue, 2020

Lyrics: In A Big Country © Big Country, 1983

Morgens leicht, später laut: Singles © Detlef Kuhlbrodt/Edition Suhrkamp, 2007

Das Wunder von Lengede (2-tlg. Fernsehfilm, basierend auf dem Grubenunglück von 1963, u.a. mit Nadja Uhl, Heino Ferch, Heike Makatsch, Jan Josef Liefers) © Kaspar Heidelbach (Regie), D 2003

Red Hill Mining Town © U2, 1987

Carte Postale © Interhotel, 2020

Nach Bahrenfeld im Bus / When Smoke gets in your Eyes.

Nur nach Hause geh’n wir nicht: Mythos Kottbusser Tor © Kai von Kröcher, 2019

 

Once I had a dream I was falling from the sky, coming down like running water. +++ Gestern war ja noch vergleichsweise human – verglichen jetzt mal mit dem, was da für heute angesagt worden ist. Ich fuhr mit der U-Bahn. Die ganze Zeit hin und her, immer dieselbe Strecke: Django hat Monatskarte, der alte Scherz. Prinzenstraße jedes Mal raus, Treppe runter, über die Straße, andere Seite Rolltreppe wieder rauf, zurück Richtung Warschauer Straße. +++ Ich überquerte unter der Hochbahn die Straße, im Schatten der alten Mauer des Sommerbades kam gerade der Autor K. seines Weges – exakt an der Fußgängerampel trafen wir aufeinander. +++ Ob er zum Frauenfußball wolle, fragte ich, wofür es wahrscheinlich noch viel zu früh war. Ich sehe ja, meinte er, mittlerweile sehe ich aus wie Friedrich Liechtenstein – „der, der immer die Preise durchstreicht.“ Ich nahm die Sonnenbrille ab und erzählte von meiner Augen-OP, die ich gerade hinter mir habe, und das verunsichere einen im Alltag da draußen schon sehr. +++ Gerade eben im U-Bahn-Waggon zum Beispiel, da nämlich hätten zwei angetrunkene oder naturbreite Typen aus Märkisch-Oderland die Leute genervt. Zwei ziemliche Schränke, mit kräftigen Stimmen grölten sie ständig: „Wir woll’n nach Hause geh’n, wir woll’n nach Hause geh’n!“ Komischerweise war’s ziemlich leer in der Bahn, die junge Frau aus Tausend und einer Nacht auf der Bank neben den beiden schien sichtlich not very amused. +++ Als der Schreihals in der Jeanskutte – der, der immer mit den Armen herumfuchtelte beim Schreien. Als der die ganze Zeit herausfordernd zu mir herübersah, sagte ich – da hätte ich schon auf den Lippen gehabt, warum sie’s nicht einfach tun. Verstehen Sie? Warum sie nicht einfach nach Hause gingen! Guter Spruch, finde ich: „Und, warum macht ihr’s nicht einfach?“ Hab’s mir dann aber doch lieber verkniffen, das Auge ist ja noch nicht mal verheilt. Sahen zwar nicht unbedingt aggro aus, die beiden Sportsfreunde. Aber vielleicht versteht dann ja doch einer mal keinen Spaß – und dann der noch frische Schnitt durch den Augapfel. +++ Naja, und darüber sprachen wir im Schatten der Hochbahn, dann gingen wir beide wieder unserer Wege. Erwähnten die Hitze mit keiner Silbe, weil – heute wird’s ja noch wesentlich wärmer: das wäre ein voreiliges Zeichen der Schwäche gewesen. +++ Im nächsten Post schreibe ich über Zsa Zsa Gabor.

 

Überschrift inspired by: Nach Bahrenfeld im Bus © Tocotronic, 1997

Überschrift also inspired by: Smoke Gets in Your Eyes © Bryan Ferry, 1974 (Cover)

Bildunterschrift inspired by: Nur nach Hause (Hertha-Hymne) © Frank Zander, 1992

Lyrics: Thinking of a Place © The War on Drugs, 2017

Morgens leicht, später laut (Texte) © Detlef Kuhlbrodt, 2007

Friedrich Liechtenstein (*1956 in Stalinstadt)

Zsa Zsa Gabor (*1917 in Budapest, Österreich-Ungarn, †2016 in Los Angeles)

Björn „the Hörn“ Höcke (*1972 in Lünen)