Der letzte erträgliche Sommer / I Don’t Wanna Be Buried In a Pet Sematary.
Das ist ein gutes Gefühl, frei zu sein. +++ Gestern, haha – gestern waren Otto und ich am Gendarmenmarkt. Eigentlich hatten wir ganz woandershin wollen, aber Sie wissen ja selbst. Wir saßen also auf einer Bank, mein Sohn löffelte Vanilleeis aus dem Lafayette. Da reifte in uns der spontane Entschluss, direkt mal den Turm des Französischen Doms zu besteigen. Überhaupt waren hier an der Französischen Straße auffallend viele Franzosen unterwegs; ich fragte mich, ob es da einen Zusammenhang gab. Und an der Kasse fragte ich, man ist ja nicht Krösus. Ob es vielleicht eine Ermäßigung gäbe. „Naja“, meinte die junge Frau hinter dem Schalter: „Ihr Sohn sieht ja nicht aus, als wäre er schon sechs Jahre, dann ist der Eintritt sowieso frei. Und für Rentner kostet es auch nichts.“ Ich sah sie kurz an – da versank sie hinter dem Dingens, das sei ihr jetzt aber wahnsinnig unangenehm. +++ Schwamm drüber. +++ Wir stiefelten los. Der Aufzug war defekt, Aufzüge sind eh für Verlierer (und Rentner). Und obwohl das Gemäuer von außen jetzt erstmal gar nicht so imposant erscheint, zieht sich der Aufstieg doch gar nicht so übel. Abwechselnd schauten wir nach unten und spürten Stromstöße in den Knien, oder wir schauten hinauf zu den sechzig Glocken im Dachstuhl und hofften, die würden nicht etwa losläuten, wenn wir gerade dort oben sind. Nach ungefähr sechzehn, siebzehn Minuten vielleicht – ich habe nicht auf die Uhr geschaut. Wir hatten es irgendwann also geschafft und traten auf die Aussichtsplattform nach draußen. Was aber heißt Plattform – man kann einmal ganz um den Turm herumgehen. Wir traten also nach draußen, ich sagte: „Guck mal, die Kirche am Südstern“. Mein Sohn sagte: „Und da ist der Flughafen Tempelhof!“ Die ganze Stadt lag uns hier zu Füßen – er aber maulte: „Papa, ich will wieder runter – ich muss pullern.“ +++ Okay. +++ Und jetzt wird der Sohn bald Markenklamotten im Schrank haben müssen, damit er im Vorschulalter nicht schon jegliche Chance verspielt. Neulich auf einmal dann diese Mail: „Guten Tag, aufgrund Ihres Profils auf Indeed denken wir, dass Sie sich gut für die Stelle als Tierbestatter (m/w/d) eignen würden. Bitte reichen Sie bei Interesse eine Schnellbewerbung ein.“
Überschrift inspired by: Der große Sommer (Roman) © Ewald Arenz, 2021
Überschrift also inspired by: Pet Sematary © Ramones, 1989
Lyrics: Leider nur ein Vakuum © Udo Lindenberg & das Panik-Orchester, 1974