Zur Schildkröte / I’m sorry Ms. Jackson.

Fiktives Vinyl: Die Kränkung – Einblutungen an den Rändern © Kai von Kröcher, 2014/2022

 

J’avais dessiné sur le sable son doux visage. +++ Kurz nach dem Mauerfall war ich mit meinem Kumpel abends, dem Russen, drüben in Ost-Berlin. +++ Was ich an dem Bild mit dem Boot („Cindy Incidentswert“/Anm.d.Red.) neulich so faszinierend fand, das fiel mir viel später erst wirklich auf. Diese Diskrepanz zwischen Fassade und Wirklichkeit. Diese Ein- bzw. Zweidimensionalität der sandigen Theaterkulisse – dahinter verborgen die endlose Weite der offenen See. +++ Wer früher Schallplatten gesammelt hat, oder anders gesagt: Welcher Idiot von Schallplattenverkäufer hat denn da oben diesen Nice-Price-Aufkleber voll über die Straßenlaterne geklebt?! +++ Und wer damals, an diesen diesigen Novemberabenden im Jahre ’89 in Ost-Berlin. Wer damals nicht dabei gewesen ist: Wenn man sich einfach so spontan auf den Weg gemacht hat, von, sagen wir mal Charlottenburg, Moabit oder meinetwegen auch Kreuzberg oder dem Wedding. Man hatte ja keine Ahnung. Prenzlauer Berg gab es in unserer Wahrnehmung damals noch nicht. Jedenfalls, der Russe und ich kreuzten quer durch den Abend, unser Ehrgeiz ging auf eine authentische Molle. Der Osten hatte ein anderes Licht als der Westen, über dem Kopfsteinpflaster hing pittoresker Zweitakter-Dunst. Eine Molle zu finden war für den Außenstehenden auf Anhieb gar nicht so einfach. An einer dunklen, breiten Magistrale aber wurden wir ins Innere einer Kneipe gespült, die trug den geheimnisvollen Namen Schildkröte. Holzfässer waren als Stehtische aufgebaut, die Erinnerung verschwimmt leider bedenklich. +++ Gestern, hier in Berlin, hatten wir recht unwirtlichen Schneeregen, zwischenzeitlich sah es ein bisschen so aus wie einstmals im Havelland (oben). +++ In den Nachwendejahren haben der Russe und ich häufiger solche Touren durch die Hauptstadt der DDR damals gemacht. Einmal, da hatte im Kreml wahrscheinlich schon Jelzin das Ruder übernommen. Da saßen wir in einer Bar an einem großen Fenster zur Straße. Jahre später konnte ich diesen Ort durch Zufall nach Pankow verordnen, wie man gerne so sagt. Der Russe hatte verwegene Pläne: In dieser Kneipe am Fenster in Pankow schlug er mir vor, ich weiß das wortwörtlich noch heute. Er meinte, ich sei doch so’n stoischer Typ, ich hätte ein dickes Fell. Was ich übrigens für eine komplette Fehleinschätzung halte, aber egal. Ob ich zusammen mit ihm nicht eine McDonald’s-Filiale in Moskau oder St. Petersburg aufmachen will. +++ Womit wir endlich beim Thema sind.

 

Überschrift inspired by: Zur Schildkröte | HO-Gaststätte | Schönhauser Allee | Berlin – Hauptstadt der DDR

Überschrift also inspired by: I’m Sorry Ms. Jackson © Outcast, 2000

Lyrics: Aline © Christophe, 1965

Boris Jelzin (* 1. Februar 1931 in Butka, Ural-Oblast; † 23. April 2007 in Moskau), 1991 – 1999 der erste Präsident und das erste frei gewählte Staatsoberhaupt Russlands überhaupt 

вкусно и точка – sowjetische McDonald’s-Kopie (Est. 2022)

вкусно и точка / Sylvia’s Mother said.

Fiktives Vinyl: вкусно и точка – Der Maschinentod (präsentiert von Россия 1) © Kai von Kröcher, 2011/2022

 

Weil du dir meistens nicht gefällst und du tanzt wie ein Pferd. +++ Heute vor einem Jahr überfiel, Sie wissen es, überfiel Annalena Baerbock aus Hannover die friedliebende Sowjetunion – war es das wert? +++ Was man denn auf dem Bild mit dem Boot neulich sieht, wurde ich in einem Leserbrief gestern gefragt („Cindy Incidentswert“/Anm.d.Red.) – das ist natürlich eine herausfordernde Frage! Auf den ersten Blick fühlt man sich in eine Theaterlandschaft versetzt: vorne ein bisschen Sand, darin ein verlassenes Boot. In die Kulisse gepinselt ein bleigrauer Himmel ohne jegliche Dramaturgie, aus wenigen Strichen ein trostloses Gestrüpp, aus der Zeit gefallen dazu eine Straßenlaterne. +++ Sie kennen meine Einstellung zur weltgrößten Fast-Food-Kette McDonald’s, die Hamburger bei вкусно и точка jedenfalls sollen nicht schlechter sein – nur an seiner Cola müsse ‚der Russe‘ noch arbeiten, heißt es. +++ Am Sonntag im club49 nun endlich der Zappa-Abend mit Carsten Klindt plus one, letztens noch einem Virus zum Opfer gefallen. +++ Ob man ein Bild erklären kann oder muss – das hat ja immer auch viel mit intuitiver Assoziation zu tun. Hinter jenen unspektakulären Büschen, das weiß in diesem Fall nur der Künstler – hinter den Büschen liegt der Herr der Gezeiten himself und hat, wie sein Name verrät, alle Zeit der Welt: die Ostsee. Einstmals lebensgefährliches Schlupfloch in den verheißungsreichen Westen, heute ein beinahe prosaisches Wasser. +++ Alles gerät mir heute hölzern und schwer. +++ Das heutige Plattencover dagegen (oben) ist ziemlich scheiße geworden und zeigt eine Filiale des Fast-Food-Riesen McDonald’s im damals schon früheren Ost-Berlin.

 

Überschrift inspired by: вкусно и точка = sowjetische McDonald’s-Kopie (established 2022)

Überschrift also inspired by: Sylvia’s Mother © Dr. Hook & the Medicine Show, 1971

Lyrics: Alles Gute © Faber, 2015

The Prince of Tides (Drama mit Nick Nolte und Barbra Streisand) © Barbra Streisand (Regie), USA 1991